Drachenkaiser
Ausweicharchiv eingebrochen«, erzählte er nonchalant, als habe er ihre Antwort nicht gehört. »Die Wache hat geschworen, dass die Diebin sich anmaßte, eine Uniform des Officiums zu tragen und damit Verwirrung zu stiften, in der sie entkommen konnte. Trotz des Hutes, der das Gesicht beschattet hat, meinte er, Sie erkannt zu haben.« Er holte einen kleinen Block hervor. »Die Liste der gestohlenen Akten ist noch nicht vollständig, da durch den Umzug einiges durcheinandergeriet, aber ich erspare es mir, sie Ihnen vorzulesen. Sie wissen, was fehlt.« Er lächelte sie verwirrenderweise an, als fände er es witzig, was sie getan hatte.
»Es … ging nicht anders.«
»Aber, meine Liebe, natürlich ging es anders!« Brieuc lehnte sich unerwartet nach vorn und legte die rechte Hand auf ihre. »Warum haben Sie nicht mich gefragt?«, sagte er vorwurfsvoll. »Sie haben sich unnötig in Gefahr begeben. Ein Wort hätte genügt, und es wäre mir eine Freude gewesen, Ihnen zu helfen.«
Versucht er, mich reinzulegen? Silena stutzte. »Ich dachte, ich bin in Ihren Augen eine Verräterin.«
Brieuc hob die Arme. »Um Himmels willen! Sie haben die Seiten gewechselt, ja, und Prokop mag Sie deswegen hassen, Frau Zadornova, aber doch nicht ich! Keiner von uns Drachenheiligen tut das. Uns verbindet die Abstammung, die Besonderheit.« Er lächelte sie an, und dieses Mal sah es ehrlich aus.
Brieuc hatte es geschafft, sie durch seine Freundlichkeit und Offenheit völlig durcheinanderzubringen. War sie vorhin wütend und entschlossen gewesen, die Wahrheit über die Uhr aus ihm herauszuprügeln, bot sich ihr nun eine unerwartete Variante des Beistands. Aber kläre zuerst die Sache mit seiner Uhr. »Sie fragten mich nach meiner Rückkehr«, begann sie vorsichtig. »Wenn ich nun Nein sage, werden Sie dann gehen?«
»Nein, meine Liebe. Ich sollte die Frage nur im Namen von Prokop stellen und ihm die Antwort übermitteln.«
»Er weiß von unserem Treffen, weil Sie es ihm gesagt haben?«
»Ja. Das zumindest sah ich als meine Pflicht an, weil ich dachte, dass er Ihnen etwas Besonderes mitteilen möchte, um Sie zur Rückkehr in diesen bitteren Stunden zu bewegen. Leider wurde ich enttäuscht.« Er biss von dem Brezengebäck ab und spülte mit Kaffee nach. »Was wir beide bereden, wird er nicht erfahren. Erzählen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann, meine Liebe.«
Silena registrierte die Unverkrampftheit des Großmeisters, wobei sie sich selbst davor warnte, ihm zu viel zu verraten: Die Spitzel des Officiums hatten aus dem Verlust der Akten sicher bereits ihre Schlüsse gezogen und auf Anweisung Prokops etwas in die Wege geleitet. Sie würde Brieuc auf die Probe stellen, um herauszufinden, ob er die Wahrheit sprach und ob das Officium Grigorij in seiner Gewalt hatte. »Sie wollen mir helfen? Gut! Dann sagen Sie mir, was Sie in Oranienbaum zu suchen hatten!«
Die Ansatzlosigkeit ihres Themenwechsels überraschte den Großmeister. »Liegt das in Holland?«, fragte er nach leichtem Zögern.
»Russland. In der Nähe von Sankt Petersburg.«
Brieuc führte die Tasse erneut zum Mund, schlürfte. »Da Sie mich so dezidiert fragen, gibt es wohl einen Verdacht gegen mich. Was ist in Oranienbaum geschehen und…« Er schwieg zwei Sekunden. »Ist das nicht der Ort, an dem der Zeppelin Ihres Mannes runterging?« Er stellte die Tasse ab. »Bei den Heiligen! Was soll ich denn da gesucht haben?«
Wortlos langte sie in die Tasche und legte seine Uhr auf den Tisch, genau in die Mitte. Was tust du jetzt, Großmeister?
Brieuc legte den Kopf leicht schief. »Darf ich mal sehen?«
Sie deutete darauf. »Bitte sehr. Es ist Ihre.«
Er hob sie auf, drehte und wendete sie, öffnete den Deckel und strich über das Glas. »Ja, es ist meine«, stellte er verblüfft fest. »Abgesehen von meinem Wappen erkenne ich sie deutlich an dem Kratzer im Glas. Und auch an der Einkerbung auf dem Deckel.« Er steckte sie ein. »Sie haben sie in Oranienbaum gefunden? Vermutlich an der Absturzstelle, richtig? Sonst hätten Sie mir die Uhr nicht auf diese Weise übergeben.« Er wirkte weder ertappt noch beunruhigt, was für ihn sprach. »Sie wurde mir gestohlen, schon vor längerer Zeit, mitten auf der Straße. Ein sehr dreister Dieb.«
Silena musste sich einen spöttischen Kommentar verbeißen. Keine gute Ausrede.
»Wir haben den Dieb zwar geschnappt, aber er hatte sie schon weiterverkauft, wie er den Gendarmen sagte«, redete Brieuc weiter. »Ich dachte eigentlich, dass sie
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