Drachenkaiser
wollte, riss er vom Sattel und schwang sich selbst darauf. Jetzt vermochte er das Tempo zu halten.
Die Frau ließ das Boot in einen Seitenkanal abbiegen, in dem es keine Wege rechts und links gab.
Wu Li musste improvisieren.
Es entspann sich eine Verfolgungsfahrt zwischen Velo und Boot, wobei der Illusionist darauf achtete, nicht von der Unbekannten bemerkt zu werden. Es waren glücklicherweise so viele Radler unterwegs, dass er nicht weiter auffiel. Es kostete ihn jedoch große Mühe, Zusammenstöße zu vermeiden, da er sich nicht mit Verkehrsregeln aufhielt, sondern rücksichtslos an dem Boot blieb und manchen Umweg in Kauf nehmen musste.
In den Beinen verbreitete sich ein Brennen, Körperertüchtigung war er nicht gewohnt. Aufgeben kam jedoch nicht infrage.
Das Boot wurde langsamer, die Frau steckte ihre Pistole weg, sprang ans Ufer und lief weiter.
Endlich. Wu Li wischte sich den Schweiß von der Stirn und radelte gemächlich hinter ihr her. Er beobachtete, dass sie in Richtung Bahnhof eilte, als wüsste sie, was als Nächstes zu tun sei.
Im Bahnhof angelangt, verfolgte er sie durch die Halle zum Fahrkartenschalter; das Rad schob er dabei. Er stellte sich in die Schlange, in der auch sie stand, und als er an der Reihe war, verlangte er die gleiche Fahrkarte wie sie.
Der Beamte schaute ihn verwundert an, sagte aber nichts und löste ihm eine Karte für den Expresszug nach London am nächsten Morgen.
»Sind Sie sicher?«, erkundigte sich Wu Li mit dem klassischen chinesischen Unverbindlichkeitslächeln, bei dem er ebenso gut töten, foltern oder sich bedanken konnte, und musste sich sehr nach vorne beugen. »Wollte sie nicht in den Osten?«
»Ich bin sicher. Gefragt hat sie nach einem Zug nach York, aber wir haben nur den Zug, der von hier mit der Fähre nach London geht. Dort, habe ich ihr gesagt, muss sie umsteigen.«
»Danke«, sagte Wu Li und ging, bevor er Rückfragen beantworten musste. Als er sich umdrehte, war die Russin verschwunden. Ni yeye de!
Aber er wusste, wo er sie morgen früh finden würde. Wenn der Läozi keine bessere Aufgabe für ihn hatte, würde er ihn um Erlaubnis bitten, sie verfolgen zu dürfen.
Wu Li fuhr in den Hafen und fragte sich von Pier zu Pier nach dem alten Lagerhaus durch, das wegen Einsturzgefahr geschlossen war. Anfangs wusste ihm keiner zu helfen, doch am frühen Abend hatte er endlich eine Halle gefunden, der man ansah, dass sie bald in sich zusammenbrechen würde. Der Gedanke, da hineinzumüssen, bereitete ihm keine große Freude.
Er stellte das Rad ab und umrundete sie einmal, so weit es ging. Die Ostseite mündete ins Wasser, alle Fenster waren vernagelt, über dem Eingang hing das Schild mit der Aufschrift Ostindische Handelskompanie. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihn niemand beobachtete, riss er zwei Latten vor einem der Fenster ab und zwängte sich durch die Lücke ins Innere.
Es war kalt, die Luft roch alt und verbraucht. Das wenige Licht, das von draußen hereinfiel, zeigte ihm eine große, leere Halle; Haken und Ketten hingen von der Decke, und das Wasser plätscherte leise.
Ich hoffe, Florin kommt bald. Aber warum sollte er an einem solchen Ort erscheinen? Wu Li streifte vorsichtig umher und fand außer zerschlagenen Kisten, einem Brecheisen und einem Fass mit ranziger Butter eine zerkratzte Flöte neben dem Wasserbecken. Seltsam.
Ihm kam ein Gedanke. Sollte es kein Zufall sein, dass die Flöte hier liegt? Wu Li nahm sie und spielte ein paar Töne, um ein Gefühl für das Instrument zu bekommen, dann spielte er eine kleine Melodie und lauschte.
Der Drache ließ sich nicht blicken.
Mein Einfall war doch nicht so gut wie… Sein Blick richtete sich auf die hereinschwappenden Wellen. Er hatte von Walgesängen gehört, die man unter Wasser auf Meilen hinweg vernahm. Wasser auf Meilen hinweg vernahm.
Er wiederholte es, variierte die Töne und setzte sich an den Beckenrand, um zu warten, was sich tat. Gelegentlich sah er auf seine Uhr.
Eine Stunde verging, und Wu Li wiederholte das Gepfeife – da wurde ihm das Instrument aus den Händen gerissen!
Ein Schatten prallte gegen ihn und schleuderte ihn meterweit durch die Halle. Er landete auf dem Boden und rutschte bis zum Eingang, hustete und ächzte vor Schmerzen. Sein Rücken fühlte sich gar nicht gut an.
Aus dem Bassin kroch ein schlangenhafter Drache, von dem er nur die Umrisse und die leuchtend gelben Augen sah. Er war nicht länger als drei ausgewachsene Männer und nicht dicker als
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