Drachenkaiser
davon zu überzeugen, dass ich nichts weiter als sein kleiner Statthalter in Holland bin. Es wäre schlecht, wenn er erkennen würde, wie weit meine Bestrebungen gediehen sind. Und das nur wegen Nie-Lung, diesem golden leuchtenden Porzellanpüppchenl
Dazu kam noch das Debakel um das Artefakt. Schon der Gedanke daran machte ihn zornig.
Zwar hatte Vlad ihm nicht den Weltenstein gebracht, doch diese kleinere Version, die aus einem menschlichen Schädel stammen musste, besaß ebenfalls beachtliches Potenzial. Damit wäre es möglich gewesen, Vouivre zu schlagen.
Und da tauchten diese Russen auf und stahlen es ihm vor seiner Nase. Buchstäblich! Um die drei Cornelissens tat es ihm leid. Sie hatten ihn angebetet, seit sie elf Jahre alt gewesen waren.
Die Frau, die er als Snickelway erkannt hatte und mit der etwas nicht stimmte, war ihm in letzter Sekunde entkommen. Doch seine Leute überwachten die gesamte Stadt. Ich kriege mein Artefakt. Florin rätselte, was aus De Bercy geworden war. Auch das hätte er Snickelway gerne gefragt. Und was sie mit den Russen zu schaffen hatte.
Morgen erwische ich sie. Als er in die Stadt einschwamm, hegte er bereits wieder Zuversicht für all seine Vorhaben.
5. Januar 1927, Amsterdam, Provinz Nord-Holland, Königreich Holland
Ealwhina fühlte, wie sich das kalte Metall an ihrer Haut erwärmte. Sie bewegte sich nicht, sondern sah Sigorskaja verschlafen in die Augen. »Ich habe das Artefakt nicht. Ich habe es in der Herengracht verloren.« Sie wusste im gleichen Moment, dass die Russin ihr nicht glauben würde.
Die Menschen rechts und links von ihnen waren stumm und verharrten reglos an ihren Plätzen. Niemand wollte die lange Klinge selbst zu spüren zu bekommen.
»Das ist Unsinn. Ich hatte Sie vorhin kurz gesehen, ehe Sie in den Zug stiegen«, herrschte Sigorskaja sie an. »Ich konnte deutlich erkennen, dass Sie es noch bei sich trugen. Wo haben Sie es versteckt?«
»Aus dem Fenster geworfen.«
Die Schneide fuhr leicht ins Fleisch, und Ealwhina sog zischend Luft durch die Zähne ein.
»Hören Sie mit dem Theater auf. Ich kann Sie abstechen und selbst suchen. Ich möchte es Ihnen einfacher machen.«
»Es Ihnen einfacher machen und mich danach abstechen.« Ealwhina überschlug hektisch ihre verschiedenen Möglichkeiten. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so elend wie vorhin. Der leichte Schlummer hatte ihr etwas Kraft zurückgegeben, aber mit einem Dolch am Hals gab es für eine Ablenkung mit anschließender Flucht nur einen einzigen Versuch. Wohin konnte man zudem in einem fahrenden Zug flüchten? Weiter als bis zur Lokspitze ging es nicht. Bleibt der Sprung aus dem Fenster vom Waggon aus.
»Ich werde Ihnen nichts tun, wenn ich das Artefakt habe, das dem russischen Zaren gehört«, betonte Sigorskaja. »Bei ihm ist es besser aufgehoben als bei Ihnen. Sie könnten alles Mögliche damit anstellen.«
Ealwhina sah an ihr vorbei zu dem Lampenhalter; sie hatte einen sehr großen Mann in zu kleiner Kleidung bemerkt, der mit dem Rücken zu ihnen stehen geblieben war. Er sah in den Lampenhalter und streckte die Hand durch die Öffnung. »He!«, rief sie aufgebracht. »He, lassen Sie das!«
»Ruhe!«, fuhr sie Sigorskaja an.
Der Mann – ein Chinese, wie Ealwhina bemerkte – drehte sich um und grinste sie an. Dann hielt er die Kugel zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe, ließ sie in die andere Hand fallen und öffnete die Durchgangstür des Abteils.
»Er stiehlt das Artefakt!«, rief sie entsetzt und trat der Russin ansatzlos mit beiden Füßen gegen den Unterleib. Die Frau wurde nach hinten geschleudert und prallte mit dem Oberkörper hart gegen die Bank. Ealwhina sprang in die Höhe und hetzte dem Mann hinterher.
Ein Schlag und ein heißer Schmerz fuhren ihr in den Rücken, sie hing plötzlich an etwas fest und riss sich mit einer Schulterdrehung los. Die Qualen steigerten sich und brachten sie zum Aufschreien, warme Flüssigkeit lief ihr am Rückgrat entlang. Aber sie lief weiter und sah den Chinesen durch das kleine Fenster in der Tür winken. Sie kannte das Gesicht nicht.
»Halt!«, schrie sie.
Jetzt wurde es laut im Abteil. Die Männer und Frauen riefen durcheinander und wichen vor ihr zurück, sie sah Sigorskajas Schatten über sich fallen und versuchte, sich vor der nächsten Attacke wegzuducken.
Doch die Russin beschränkte sich darauf, sie zur Seite zu stoßen.
Kopfüber flog Ealwhina zwischen die Mitreisenden, die sie halb auffingen, halb von sich
Weitere Kostenlose Bücher