Drachenkaiser
jeden Preis.
Das Wissen, dass sie keinerlei Schonung erwarten durfte, elektrisierte sie. Sie arbeitete sich, so rasch es ihre Arme hergaben, nach oben, während die Erschütterungen nicht nachließen.
Als sie auf der hölzernen Brücke stand und die Arbeiter an sich vorbeirennen sah, gab das provisorische Bauwerk in seiner geschwächten Mitte nach und stürzte in sich zusammen. In einem Dominoeffekt setzte sich der Zusammenbruch nach rechts und links fort. Die Überlebenden kreischten auf, als sie begriffen, dass ein tödlicher Regen aus mannsdicken Pfeilern, Latten und Brettern auf sie niederging.
Ealwhina nahm die Murmel aus dem Mund und rannte auf das sichere Land zu. Um sie herum rissen knallend Seile, peitschend flogen die Enden umher, und Nägel zogen sich ächzend aus dem Holz. Ihr Geister von York! Der Untergrund schwankte, brach auf und kippelte wie auf einem Schiff, das im Sturm auf einen Felsen lief.
Sie schaffte es zusammen mit dem letzten Bauarbeiter, den tiefer liegenden Damm aus Erde zu erreichen, und wandte sich um.
Die Brücke existierte nicht mehr. Vereinzelte standhafte Pfähle hatten durchgehalten und ragten wie abgeschnittene Beine empor. Das Wasser schäumte, umspülte die Hindernisse und war noch aufgewühlter als zuvor. Der Zug lag unter den Trümmern begraben.
Ealwhina wrang den Saum ihres Kleides aus. Vorerst war sie dem Drachen entkommen. Sie betrachtete die Unglücksstelle und vermochte vor Entkräftung nichts zu sagen. In ihrer Hand spürte sie das Artefakt, das sie dringend nach England bringen musste. Dazu müsste sie übers Wasser reisen. Sie glaubte nicht daran, dass die unerbittliche Kreatur unter den ganzen Holzstücken begraben lag. Ich denke, ich werde fliegen.
Wu Li wollte einatmen – und schluckte Wasser. Käo!
Er hielt die Luft an und versuchte sich zu orientieren, was in der Dunkelheit nicht leicht war. Er ertastete umgekippte Bänke und drückte sich davon nach oben ab. Prustend und schnaubend durchbrach er die Oberfläche.
Gleichzeitig tauchte vier Meter weiter die Russin aus dem Wasser auf und entdeckte ihn sofort. Sie trieben unterhalb der Fenster des umgekippten Waggons, und er vernahm deutlich, dass die Brücke, die er durch die Scheiben sah, knirschte. Sie stürzt ein!
Wu Li richtete seine Aufmerksamkeit auf die Frau. Er stieß sich von der Wand ab und schnellte auf sie zu. Aber sie sprang aus dem Wasser und wollte sich aus einem zerstörten Fenster katapultieren. »Bleib!« Er bekam sie zu fassen und zog sie wieder zurück.
Beide tauchten unter, und er schlug ihr zweimal in den Bauch, um ihr den Sauerstoff aus den Lungen zu drücken. Schon nach seinem ersten Hieb erschlaffte sie. Ausgezeichnet!
Er stellte sich auf eine Bank, sodass sein Kopf aus dem brackigen Nass ragte, und zog die Russin zu sich. Ein Messer ragte aus ihrem Hals. Es sah nicht so aus, als hätte sie sich die Verletzung durch einen Zufall im Handgemenge zugezogen.
Jemand saß auf dem Dach, als sie rausklettern wollte! Er durchsuchte sie rasch, fand die Kugel jedoch nicht. Käo, käo, käo!
Wu Li schwang sich durch ein zweites Fenster auf den Waggon und sah dieselbe Frau, die vorhin im Abteil von der Russin bedroht worden war, von der Lok ins Wasser springen und davonschwimmen.
Dängfü! Er hetzte los und wollte ihr nachhechten, als er den blau geschuppten Körper des Drachen dicht unter der Oberfläche entlanggleiten sah. Florin will sie sich schnappen.
Bevor der Illusionist nachdenken konnte, kündigte sich das Ende der Brücke an.
Die ersten dicken Balken stürzten nieder, das Platschen war laut und Furcht einflößend. Wellen entstanden und schwemmten das Treibgut umher. Die Schwimmenden schrien auf und versuchten, sich vor den Trümmern in Sicherheit zu bringen. Noch mehr Streben fielen ins Wasser und erschlugen vier der paddelnden Menschen.
Bis zum anderen Ufer würde er es nicht mehr schaffen, und im Wasser lauerte der Drache, von dem Wu Li nicht wusste, wie er auf ihn reagierte. Der Tender!
Wu Li schwang sich von der Lok in den Tender, aus dem die Kohlen gefallen waren. Somit schuf der Stahl einen geeigneten Unterstand, der sicherlich mehr aushielt als jeder Waggon.
Die ersten Schläge herabstürzender Streben gingen auf den Tender nieder, es dröhnte wie in einer Glocke. Wu Li hielt sich die Ohren zu, während sich die Welt um ihn herum verdunkelte: Die Brücke stürzte nun gänzlich ein.
Die Lok wurde durch die schiere Masse nach unten in den weichen Schlick gedrückt.
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