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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Verbindung gebracht.
    Das wäre erledigt. Nie-Lung schüttelte sich und ließ die goldfarbenen Schuppen aneinanderreihen, wirbelte mit dem Schweif und züngelte den chinesischen Aufpasser vor seinem Käfig an. Bring mir Obst, befahl er ihm. Da Fremde um sie herumstanden, verzieh er ihm, dass er sich nicht unterwürfig verbeugte. Ich habe Hunger.
    Der Chinese lief hinaus. Bald darauf kehrte er mit zwei Helfern zurück, die einen geflochtenen Korb voller geschälter Bananen, Orangen, Zitronen, Äpfel, Datteln und Feigen schleppten. Eine Klappe wurde im Gitter geöffnet, das Behältnis durchgeschoben und dabei so getan, als sei der Drache für die Männer extrem gefährlich.
    Nie-Lung fand das wiederum amüsant. Er nahm sich die Früchte einzeln mit den Krallen aus dem Korb und warf sie sich genießerisch ins Maul. Und wieder glotzt ihr, wieder glotzt ihr, zujagen. Dennoch blieb es ein geringer Trost. Ich hätte zu gern gesehen, wie er den noch warmen Magen seiner Mutter in sich hineinstopft.
    »Schaut euch mal an, wie die Bestie frisst!«, rief ein Mann verwundert. »Wie gut sie das macht.«
    Du solltest mich sehen, wie ich meine Krabben pule.
    »Und warum vertilgt er keine Schafe und Kühe?«, rief ein anderes Kind enttäuscht. »Das ist ja Obst!«
    Weil es gesund ist und zu viel Fleisch meiner Verdauung nicht bekommt, gab Nie-Lung die Antwort, ohne dass er sie einen der Menschen hören ließ. Ich wette, dass du mehr Fleisch in dich hineinstopfst als ich, Balg. Er warf eine Orange hoch und piekste sie mit der anderen Klaue im Flug auf. Einige schnelle Bewegungen, und schon fielen die Schalen zu Boden, und er fraß die Frucht. Nur die Kerne der Datteln kaute er knirschend mit; sie reinigten die Zähne. Nie-Lung achtete auf sich und seine Gesundheit.
    So leicht lasst ihr Menschen euch beeindrucken und auf die falsche Fährte locken. Gitter müssen nichts zu bedeuten haben. Für eure unentwegte Respektlosigkeit werde ich euch bald büßen lassen. Grausam büßen lassen! Der Drache züngelte noch einmal in die Runde, was die dummen Menschen wieder Oh und Ah sagen ließ, um sich zusammenzurollen und den Kopf von ihnen wegzudrehen. Scheuche sie hinaus. Ich habe genug, ließ er den Chinesen wissen, der sofort verkündete, dass man nun schließen müsse.
    Die Besucher verließen langsam und widerwillig den Raum, wie Nie-Lung an den schlurfenden Schritten hörte. Es dauerte eine geraume Zeit, bis die Gespräche verstummt waren und er ganz allein für sich war.
    Endlich! Er entrollte sich. Sein Schweif drückte gegen einen Stab an der breiten Seite seines Käfigs, und die gesamte Front klappte einfach nach vorne um. Er schritt hinaus und begab sich in die Mitte des Raumes, dann entfaltete er die Flügel und streckte sie. Der Wind, den er dabei entfachte, genügte, um die Zeltwände sich aufblähen zu lassen. Ich bin schon viel zu lange nicht mehr geflogen. Ich vermisse es so sehr.
    Doch solange sie in einer Großstadt gastierten, durfte er sich diesen Luxus nicht erlauben. Nachts in einsamen Gebieten aber schwang er sich in den finsteren Himmel und umschwirrte die Gestirne.
    Im neuen europäischen Jahr brechen wir auf. Nie-Lung zog mit der Kralle die Abdeckung vor einem Fenster zur Seite und lugte hinaus. Die letzten Gäste des Zirkus schlenderten soeben vom Areal der Tierschau. Heute sind sie zäh. Sobald es keine unwissenden Augen mehr gab, durfte er wenigstens hinaus und sich bewegen, damit seine Muskeln nicht verkümmerten. Der stolze Drache tat sich schwer, die vorgetäuschte Gefangenschaft zu akzeptieren.
    Er sah den hünenhaften Wu Li auf das Zelt zukommen, der noch immer die Manegengarderobe trug; in seiner Linken hielt er einen Zettel. Aha? Was könnte es wohl Neues geben?
    Bald darauf stand der Meister der Traumkugeln vor ihm. Er verneigte sich tief vor dem Drachen, die Hände hatte er dabei in die weiten Ärmelaufschläge versenkt. So mochte Nie-Lung das: Respekt gegenüber seiner Art und vor allem ihm. »Läozi, ich muss mich für die erneute Nachlässigkeit des Aufpassers entschuldigen. Sein Leib dient den Hyänen bereits als Mahl. Es wird den anderen Mahnung genug sein, sich mehr um Euer Wohl zu kümmern.«
    Das ist mein treuer Wu Li. Immer rasch, wenn es um das Bestrafen geht. Nie-Lung sah aus seinen orangefarbenen Augen auf ihn nieder. Du hast gut daran getan, ein Zeichen zu setzen. Ich hoffe, es war auch grausam genug?
    »Das war es. Ein Lob aus Eurem Mund ist wie ein sanfter Tee am Morgen im Angesicht der

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