Drachenkaiser
Ich will nicht zu spät kommen. Leida drehte sich um, stapfte auf Voss zu und nahm ihm den Sack vom Kopf. Das dicke Gesicht war wutverzerrt. Er ärgert sich ja mächtig. Sie nahm einen Fallschirm aus der Wandhalterung. »Bereit für Ihre Flugstunde?«
[???]i6.
Januar 1927, Amsterdam, Provinz Nord-Holland, Königreich Holland
Als die Fluten des Kanals über Florin zusammenschlugen, wusste er, dass er Vouivre überrumpelt hatte. Tödlich überrumpelt.
Der Flugdrache versuchte sich vor dem Untergehen zu bewahren, indem er die Schwingen ausbreitete, um dem Wasser Widerstand zu bieten oder sich am Ufer festzuhalten, aber Florin hatte ihn zu schnell zu fassen bekommen.
Dass mein Vorhaben gelingen würde, hätte ich niemals für möglich gehalten! Das laute, trockene Knacken, das er unter Wasser vernahm, ließ ihn vermuten, dass er seinem einstigen Herrscher einen seiner empfindlichen Röhrenknochen gebrochen hatte. Flugdrachen besaßen eben nicht das härteste, schwerste Skelett, um sich durch die Luft schwingen zu können.
Du hast mich zum letzten Mal so herablassend behandelt. Florin schlug mit dem kräftigen, flachen Schwanz und schoss durch den Kanal, zerrte Vouivre hinter sich her, der sich nicht zu wehren wusste. Er befand sich in einer Hochstimmung, da er in der Tat nicht damit gerechnet hatte, Vouivre in tödliche Bedrängnis bringen zu können. Mit jedem Meter, den er schwamm, stieg die Euphorie. Die Kälte des Wassers, das unter das Schuppenkleid bis auf die Haut drang, machte dem Altvorderen offenbar zu schaffen. Seine Bewegungen wurden schleppender.
Florin wurde zwar von den Krallen des Flugdrachen getroffen, aber er behielt seine Geschwindigkeit bei. Zwei Flammenlohen schössen auf ihn zu, doch er wich den Attacken aus.
»Was willst du, Florin?«, schrie Vouivre erstickend in Todesangst und spuckte, schluckte und hustete. »Sag es! Es soll dein sein!«
Florin lachte. Nun wusste er, dass er seinen Feind besiegt hatte. »Der große Vouivre befürchtet, in dem Kanal abzusaufen wie ein Stück Vieh!«
»Ich bitte dich, Florin!«
Florin bremste und schlängelte sich um den Flugdrachen, damit er seine Schwingen nicht benutzen konnte. Dann ließ er sich auf den Grund sinken. Es wurde unvermittelt leise, das Planschen endete. Sie schwebten in eisiger Schwärze; eine Luftblase entwich blubbernd Vouivres Maul. »Ich will das, was nach dem Tod von Fafnir an dich fiel«, verlangte er. »Oder ich warte einfach, bis du ersoffen bist, und nehme mir alles.«
»Das schaffst du nicht. Ddraig würde dich vernichten«, würgte der Altvordere schwach hervor. »Du brauchst mich als deinen Verbündeten.« Er zappelte, aber Florin hatte achtgegeben und ließ ihn nicht los. »Du hast gewonnen. Ich lasse dir Deutschland.«
»Und Österreich-Ungarn«, setzte Florin hinzu. »Alle Benelux-länder und das, was ich im Osten für mich einnehmen kann.«
»Meinetwegen, meinetwegen!« Vouivre verstummte und erschlaffte.
»Hör auf mit dem Theater. Ich weiß, dass du das Bewusstsein nicht verloren hast«, sagte Florin und presste seinen Leib fester um Vouivre, der aufschrie und wieder kostbaren Sauerstoff verlor. Knorpel bog sich, Knochen knisterten und standen kurz vorm Brechen. »Welche Garantien bekomme ich von dir, Altvorderer?«
»Mein Wort! Was soll ich dir in diesem Kanal mehr geben können?«
»Dein Auge! Ich gebe es dir wieder, wenn ich erkenne, dass du dich an die Abmachung hältst.« Florin wusste nicht genau, ob seine Forderung erfüllbar war. Er hatte von verschiedenen Sagen über Vouivre gehört, in denen er seinen Karfunkel herausnehmen und einsetzen konnte, wie es ihm beliebte. Er war nicht allein durch sein Schuppenkleid eine Besonderheit. Jetzt müssen die Märchen über ihn zu einem Teil noch stimmen.
»Wie kommst du darauf, dass ich es könnte?«
»Frag die Menschen, die diese Legenden über dich berichten.« Florin spürte, dass sie auf dem Grund des Kanals aufsetzten. Sie senkten sich in den weichen Schlick. Er drückte noch fester zu. »Um auf Ddraig zurückzukommen: Ich kann mich mit ihr sicherlich einigen, wenn ich ihr Frankreich, Spanien und Portugal überlasse.«
Vouivre strampelte ein letztes Mal und schien zu begreifen, dass er nicht entkam. »Ja, ja, ich überlasse dir mein Auge. Gib meinen rechten Arm frei.« Florin tat es, und ein brotlaibgroßer Rubin leuchtete in der Dunkelheit des Wassers auf. »Ich habe es herausgenommen. Wohin soll ich es tun?«
»Lass es fallen. Ich finde es«, befahl
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