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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Hysterie und sah seinen Atem als weiße Wolke. Sie verwirbelte und formte sich zu einem Männergesicht, das sich in eine
    Fratze verwandelte. »Snickelway, um Himmels willen, lassen Sie mich nicht hier bei den Geistern!« Sie zogen den Strick noch enger. Was er sonst noch rufen wollte, wurde zu undeutlichem Gekeuche.
    Die Frau blieb stehen und drehte sich halb zu ihm um. »Und ich dachte, Sie glauben nicht daran!«, sagte sie spöttisch. »Sollen die Geister entscheiden, was aus Ihnen wird, Mister De Bercy.« Sie setzte ihren Weg fort, und mit ihr schwand das Licht im Keller. »Ich habe ein Geschäft zu erledigen. Wenn ich in ein paar Tagen im Golden Fleece sitze, bin ich gespannt, wie viele Spukgestalten ich zähle.« Sie schritt die Stufen hinauf, und auch der letzte Schimmer verging.
    Das kann sie nicht tun! De Bercy wollte seine Verzweiflung hinausbrüllen, bäumte sich auf und warf seinen Leib hin und her, um den Griff zu sprengen. Er wollte leben!
    Als er den Mund weit aufriss und nichts als ein dünnes Hecheln über seine Lippen gelangte, schlüpfte Frost zwischen seinen Zähnen hindurch, strich den Gaumen entlang und warf sich den Schlund hinab. In der Mitte angelangt, breitete er sich nach allen Seiten aus und durchdrang die Organe.
    Charles Tourant De Bercys Herz gefror innerhalb eines Wimpernschlags.
     
29. Dezember 1926, unweit von Wimereux, Departement Pas-de-Calais, Königreich Frankreich
    Kalter Wind, Gischt und nochmals kalter Wind. Dass Vouivre sich an diesem zugig-nasskalten Ort aufhielt, verdankte er dem Umstand, sich mit seiner Rivalin treffen zu müssen. Ich hielt Wimereux für einen Badeort. Hier würden nicht einmal Seedrachen ins Meer steigen, so ungastlich ist es.
    Er, der heimliche Herrscher von fast ganz Westeuropa, lungerte auf einer Düne mitten in der Nacht an der französischen Kanalküste herum und musste warten. Wie ein Bittsteller!
    Dabei regierte der französische Altvordere, wie sich die alten Drachen nannten, durch seine menschlichen Gefolgsleute in Spanien, Portugal, Frankreich, Holland und Belgien ebenso wie schon in Teilen des Deutschen Kaiserreichs und des Kaiserreichs Österreich-Ungarn. Aber ihm reichte das noch lange nicht aus.
    Die Gefahr, von den Pas-de-Calaisiens entdeckt zu werden, war bei dem Wetter mehr als gering. Außerdem hatte er sich eine Vertiefung gesucht, die allein vom Meer her einsehbar war.
    Er schüttelte die Gischt von seinen Schuppen, die im Sternenlicht glitzerten, als seien sie mit Diamanten bestäubt worden. Widerlich feuchter Sand! Nacheinander streckte er seine vier Beine aus und achtete darauf, dass sein acht Schritt langer Leib nicht in Berührung mit dem Boden kam. Mit den dünnen Flügeln auf dem Rücken vermochte er trotz seiner Größe die gewagtesten Manöver in der Luft zu absolvieren. Hätte er nicht den klassischen Kopf eines westlichen Drachen besessen, wäre so mancher Betrachter geneigt gewesen, ihn fast schon als asiatisch zu bezeichnen.
    Ich hätte mir etwas zu essen mitnehmen sollen. Vouivre sah zu dem bewölkten Himmel und suchte nach der Silhouette eines Flugdrachen. Auf dem Flug zur Kanalküste hatte er eine Herde mit Schafen gesehen. Die Salzwiesenlämmer haben einen herrlichen Geschmack, wenn nur nicht diese lästige Wolle wäre. Sie kratzt im Hals. Er verwarf sein Vorhaben, rasch zurückzufliegen und sich ein, zwei Lämmer abzugreifen.
    Seine Gedanken schweiften ab.
    Ganz in der Nähe befand sich der Geburtsort eines seiner besten Strategen unter den Menschen: Philippe Petain, der Held von Verdun, der die anstürmenden Germanenhorden zurückgeschlagen hatte, indem er sich auf eine so simple wie effektive Strategie besonnen hatte: Verteidigung und den Feind anrennen lassen. Tief vorstoßende Gegenangriffe wären das Ende von Frankreichs Freiheit gewesen.
    Der Altvordere Fafnir hatte seine Deutschen damals in den Krieg gesandt, ohne zu wissen, dass sie dem Machtstreben eines Drachen dienten. Und sie kämpften verbissen. Das waren harte Zeiten. So hielten es die Altvorderen schon immer: im Hintergrund beeinflussen, regieren und lenken, während sie die Menschen für ihre Zwecke einsetzten.
    Vouivre fand es nach den Jahrhunderten, in denen er herrschte, immer noch komisch: Die Menschen jagten kleine Drachen, die Dörfer und Städte mit ihrer Fressgier oder der Sucht nach Schätzen heimsuchten, als seien sie die schrecklichsten Übel der Welt. Die wahren Ausmaße unserer Drachenmacht erkennen sie nicht und werden es nie tun. Und

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