Drachenkaiser
knapp, doch präzise, was aus seiner Sicht vorgefallen war.
»Und sie haben das Feuer ohne Vorwarnung eröffnet?«, vergewisserte sich Silena.
»Ja, Madam. Es gab unmittelbar danach einen kurzen Funkspruch von Leida Havock, dass das Schiff geentert worden sei, weswegen wir uns nach einer Breitseite entschlossen hatten, das Feuer auf die Geschütze der Ramachander zu konzentrieren und von der Zerstörung des Luftschiffs abzusehen«, erklärte der Mann. »Es ist nicht möglich, Funkkontakt herzustellen. Auf Lichtmorsezeichen reagiert derzeit keiner.«
Silena befahl ihm, wegzutreten und die Schadensmeldungen entgegenzunehmen, bevor sie sich an Litzow wandte. »Wer könnte die Ramachander geentert haben?«
»Ochrana oder Drachenfreunde«, kam es sofort von dem alten Haudegen. »Man wollte, dass sich die Luftschiffe gegenseitig vernichten.« Er blickte mit versteinerter Miene auf die Löcher in der Wand und die geborsteten Fenster. »Wir sind glimpflich davongekommen. Die leichte Panzerung der Gondel hat das Schlimmste verhindert, aber wir müssen die Hülle und die Kammern alle auf Löcher prüfen, bevor wir eine weite Reise in Betracht ziehen, Fürstin.« Litzow schüttelte den Kopf und berührte zärtlich das große, malträtierte Steuerrad. »Mein armes Kind.«
»Gut. Wir schicken eine Maschine los, die Anschluss an die Ramachander halten und Nachrichten aufnehmen soll«, entschied Silena. »Ich bin neugierig, was wir zu hören bekommen. Sie, Oberst, kümmern sich um unser Schiff.« Sie setzte ihren Hut auf und schritt auf den Ausgang zu. »Ich bin hoffentlich bald wieder zurück.«
Silena war unvermittelt die Idee gekommen, dass der Besitzer des gefundenen Armbands etwas mit dem Zwischenfall zu tun haben könnte. Demzufolge war es höchste Zeit, sich mit dem Fund und den Symbolen darauf näher zu beschäftigen. Unter Umständen bot ihr die Stadt die Möglichkeit dazu, und genau das wollte sie jetzt herausfinden.
Sie nahm sich zwei Bewaffnete als Leibwächter mit und fuhr mit dem Automobil nach Oranienbaum. Eine freundliche Seele hatte den Wagen in der kurzen Zeit vom Erbrochenen gereinigt und Parfüm versprüht, um den Geruch zu überdecken.
Als sie die Stadt erreichten, hielt Silena von der Rückbank des Wagens aus ungeduldig Ausschau. Oranienbaum war schon immer Sitz des Adels und der Zarenfamilie gewesen, wie es den Anschein hatte: Paläste, Villen und Prachtbauten zogen an ihr vorbei. Sogar die Stadt an sich wirkte gediegen, Elend und Armut, wie man es andernorts in Russland sah, gab es hier nicht. Von Unruhen weit und breit keine Spur.
Silena las die wenigen Hinweisschilder, bis sie auf das stieß, was sie suchte: eine Bibliothek.
Jetzt müssen sie nur noch etwas Brauchbares in ihren Regalen haben. Zwar zweifelte sie daran, aber mit ein wenig Glück würde sie einen Hinweis finden. Sie ließ den Wagen anhalten, stieg aus und marschierte mit ihren Begleitern auf das wuchtige Haus zu. Natürlich war der Eingang am Abend abgeschlossen, also klingelte sie stürmisch.
Nach wenigen Minuten wurde die Tür geöffnet, und ein junger, blonder Mann in einem gefütterten, bunt gemusterten Hausmantel sah sie verschlafen an. »Was?«
»Ich wollte in die Bücherei. Jetzt«, sagte sie freundlich, doch unnachgiebig. Sie dankte Grigorij, dass er ihr Russisch beigebracht hatte. Ich klinge, als wäre ich noch immer beim Officium.
»Geschlossen«, antwortete er ungläubig und wollte die Tür zuschieben.
Schnell stellte Silena einen Fuß in den Spalt. »Haben Sie Bücher über Hieroglyphen?« Sie war sich bewusst, dass sie keinerlei Sonderrechte mehr besaß, schon gar nicht im Zarenreich. Doch ein Notfall blieb ein Notfall. »Es ist dringend. Möglicherweise hängt ein Menschenleben davon ab. Bitte.« Silena sagte es so, dass er es als Entschuldigung für ihr Verhalten nehmen konnte.
Die Tür wurde wieder ein wenig geöffnet.
»Ein Menschenleben, sagen Sie?« Der junge Mann sah sie jetzt genauer an, taxierte ihre schwarzrote Uniform, die beiden Bewaffneten hinter ihr. »Und wer sind Sie? Zur Armee des Zaren gehören Sie jedenfalls nicht.« Dann kniff er ein Auge zusammen. »Sie gehören zu diesen Drachenjägern!«
»Lassen Sie mich rein? Bitte, es ist wirklich wichtig.«
Jetzt wirkte er neugierig, doch noch trat er nicht vom Eingang zurück. »Welche Hieroglyphen suchen Sie denn? Und können Sie mir verraten, wieso in Russland ein Menschenleben von ägyptischen Schriftzeichen abhängen soll? Oder sind es andere
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