Drachenkampf
nackte Haut; das Gesicht nahm wieder die Züge des Alchemisten an.
Er kam zu sich und erblickte Saint-Lucq, der ihn mit voller Größe überragte und die Spitze seines Degens auf seine Kehle gerichtet hatte.
Das Mischblut hatte seinen Hut verloren, war voll Staub und blutverschmiert. Eine lange schwarze Haarsträhne hing ihm ins lädierte Gesicht. Eines seiner roten Brillengläser fehlte und enthüllte ein blutunterlaufenes Drachenauge. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten und hatte den Ellbogen in die Seite gestützt, um die Schulter zu entlasten.
Aber seine Entschlossenheit war so unüberwindlich wie der Stahl der scharfen Klinge seines Rapiers.
»Es ist aus«, sagte er.
Leprat stützte Mirebeau, während die beiden Männer über das Fundament des alten Turms wieder an die Oberfläche kamen. Sie kletterten aus der überdachten Grube und verharrten dann einen Moment lang unter dem weiten sternenbehangenen Himmel, wackelig, aber aufrecht, um die frische Luft und die Ruhe zu atmen.
Dann zeigte Mirebeau, der immer schwerer atmete und Blut hustete, das seine Lunge füllte, auf die Außenmauer eines der unfertigen Pavillons. »Da«, ächzte er. »Da ist es … gut.«
Leprat half dem Edelmann bis zu der Stelle, die er sich ausgesucht hatte. Er setzte ihn so ab, dass er nach Osten blickend mit dem Rücken an der Wand lehnte, und nahm dann neben ihm Platz.
»Und jetzt«, sagte Mirebeau, »jetzt … bleibt mir nur noch, auf die Sonne zu warten …«
Kurz darauf starb er.
Als schließlich der Tag anbrach, saß Leprat noch immer reglos da.
3
E inige Tage waren vergangen, als sich La Fargue, das zweite Mal in weniger als vierzehn Tagen, ins Grand Châtelet begab. Wie immer begleitet von Almadès, erreichte er es über den Pont-au-Change , deren Häuserzeilen zu beiden Seiten den Blick auf die Seine verstellten und den Eindruck vermittelten, man befände sich auf einer ganz normalen Straße. Die beiden Männer ritten im Schritt tempo, Seite an Seite und schweigend. Es war später Vormittag bei sehr schönem Wetter, und Paris stank mehr denn je.
Von dem Komplott, das die Klingen vereitelt hatten, war nichts durchgedrungen, und man konnte nur hoffen, dass auch nie etwas davon ans Licht käme. Es wäre ein Riesenskandal. Auch wenn ihr nicht bewusst gewesen war, dass sie sich mit der Schwarzen Kralle einließ, so hatte sich Königin Anne allein dadurch schuldig gemacht, dass sie sich ohne das Wissen ihres Gemahls und gegen alle Gesetze einem magischen Drachenritual hatte unterziehen wollen. Ein Verbrechen, das man einer französischen Königin unmöglich nachsehen könnte, ganz gleich, was ihre Beweggründe gewesen sein mochten. Im Übrigen hatten die meisten der in diese Affäre Verwickelten genau wie die Herzogin von Chevreuse geglaubt, sie dienten einer guten Sache, als sie sich – sei es nun aus Loyalität, Zuneigung oder purer Naivität – davon überzeugen ließen, einer unglücklichen, gedemütigten Königin heimlich dabei zu helfen, einen Thronerben zu gebären. Niemand aus dem Gefolge der Königin hatte auch nur eine Ahnung, was wirklich mit der Königin geschehen wäre, wenn es dem Alchemisten gelungen wäre, sie zu entführen …
La Fargue und Almadès wechselten Blicke, als sie in das finstere Gewölbe des Châtelet einritten. La Fargue ahnte, was der andere dachte, und wartete darauf, dass er es aussprach.
Die von langer Hand geplante Welle der Verhaftungen, die sich, vom König angeordnet, am Tag nach dem großen Ball ereignet hatte, beherrschte seither und gerade zur rechten Zeit das aktuelle Tagesgespräch. In den Gazetten und bei den Blattmachern von Paris, in ganz Frankreich und an allen europäischen Adelshöfen war von nichts anderem die Rede.
Die Verhaftung, die am meisten erstaunte, war die des Marquis de Châteauneuf, der als Hüter der Siegel immerhin die drittwichtigste Persönlichkeit im Staate war. Man warf ihm vor, sich zu sehr in der Rolle des künftigen Nachfolgers von Richelieu auf dem Posten des Ersten Ministers Seiner Majestät gefallen zu haben, eine Form des Ehrgeizes, die nicht zum ersten Mal den Boden für Verrat und Verschwörung bereitet hätte. Aber vor allem wurde er beschuldigt, seiner Mätresse, der aufrührerischen Herzogin von Chevreuse, Staatsgeheimnisse anvertraut zu haben. Einige dieser Geheimnisse betrafen die Bollwerke Frankreichs in Lothringen. Und es war sogar die Rede von einem französischen Offizier und Vertrauten des Marquis, der unlängst
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