DrachenKind (German Edition)
bei der Höhle, wäre fast erfroren. Da fiel ihm ein Tiger ein, mit dem sich seine Eltern mal angefreundet hatten. Und der fand ihn dann auch, nach vier Tagen. Er hatte keine Lust mehr zum Leben, denn es gab niemanden, der sich daran erfreuen konnte. Er versuchte zu sterben aber konnte es nicht, denn der Freund seiner Eltern hielt ihn am Leben. Irgendwann war er so alt, dass ihm der Freund die Geschichte eines Krieges erzählte, der gerade dabei war, Gestalt anzunehmen und sich zu verbreiten. Und er sagte, seine Eltern wären von den Dienern des Krieges ermordet worden. In dem Augenblick gab es etwas, was dem jungen Tiger bewusst wurde. Er hatte die Chance sich zu rächen, dafür, dass ihm sein Lebenswille, seine Liebe, sein Leben selbst genommen worden war. Und er verbündete sich mit dem älteren Freund, um eines Tages stark genug zu sein. Um irgendwann denen entgegen zu treten, die ihm und anderen ein solches Leid beigebracht hatten.“
Seraf schwieg. Er betrachtete sein Gegenüber eindringlich, sah die Ratlosigkeit, die schwindende Willenskraft und die beinahe endlose Trauer. Er erinnerte sich schnell an damals, als seine Eltern ermordet wurden. Und an den Tag, an dem Iman ihm gezeigt hatte, dass es immer einen neuen Weg gab, dass es immer einen Sinn machte, nicht aufzugeben. Egal wie finster jener Sinn auch sein mochte. Eric sah ihn an. Die ersten Worte seit dem Tod seines Lebens wehten leise durch die kühle Abendluft.
„Danke.“
Seraf verbeugte sich kaum merklich, Eric fühlte sich etwas besser. Für Selbstmitleid war keine Zeit mehr. Die Trauer über das Geschehene war nicht überwunden, aber er sah einen Grund, sich zusammenzureißen. Niemand konnte sicher sagen, dass Jack wirklich sterben sollte. Vielleicht schaffte er es sich zu verstecken. Er ignorierte den bösen Impuls seines Unterbewusstseins dass das völlig unmöglich war. Vielleicht lebte er wirklich noch, vielleicht konnte er gefunden werden und…
Seraf verfolgte die Gedanken seines neuen Freundes. Auch er hatte erkannt, wie die Geschichte und die Bestimmung der Wesen in einer Welt ausreichen konnten um die Grenzen des Unterschiedes zu überwinden. Eigentlich reichte schon viel weniger als das, aber das war ihm in dem Moment egal. Er hatte genau so niemanden wie der blaue Drache, abgesehen von Iman. Und er hatte das Gefühl, dass sie beide gar nicht so verschieden waren.
Eric rief sich das Bild Jacks vor Augen und dachte daran, was er alles tun würde um ihn zurück zu bekommen. Und da fand er keine Grenzen. Also hatte Seraf Recht, wer sich selbst einfach fallen ließ, würde dabei bleiben. Es sei denn er erkannte, dass es immer noch eine Möglichkeit gab. Immer eine zweite. Und dort, wo es nur die Richtungen oben und unten gab, war es jetzt das Oben. Er rieb sich die feuchten Augen. Dann verschloss er seine Gedanken und richtete sie auf das Bild des Tigers, der jetzt irgendwo allein auf sich gestellt versuchen würde, zu überleben.
„Jack, ich werde dich finden. Ich werde. Und du wirst überleben. Du bleibst am Leben. Ich finde dich, versprochen.“
Die Gedanken konnte niemand hören, sie waren wie ein eingeschlossenes, stummes Gebet. Er flehte seinen Geist an sich zu erholen, nicht aufzugeben. Er war wütend auf sich selbst. Er hatte sich zu viel leidgetan. Plötzlich musste er daran denken, wie viele Tiere und wie viele Menschen jeden Tag Angehörige verloren. Wie viele in einer Sekunde leiden mussten. Er schüttelte den Kopf. Wenn er das Leid aller Wesen mit seinem eigenen verglich, war es noch weniger als bedeutungslos. Seraf war das lebende Beispiel. Er hatte sich aufgerafft, plante, sich am Herrscher und seinen Schergen zu rächen. Und ihn daran zu hindern, noch mehr solcher Grausamkeiten zu verrichten. Als er sich darauf konzentrierte seine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen spürte er, wie das blaue, helle Feuer in ihm angefacht wurde. Es wurde größer. Seraf traute seinen Augen nicht, als der Jemand vor ihm tief einatmete und eine warme, beinahe heiße Briese Wind durch den Wald fegte und die Blätter aufwirbelte. Beim Ausatmen sah er, wie sich etwas von diesem Wind bei ihnen ansammelte, ein wirbelndes Büschel Laub schwebte zwischen ihnen in der Luft, dann zerstob es und Seraf fühlte die Hitze, wie sie ihn durchwärmte. Er öffnete die Augen und sah den weißen Tiger an.
„Deine Kräfte sind ein Wunder. Danke für die Kraft, die du mir gerade geschenkt hast.“
„Nein, ich danke dir. Es tut mir leid, ich habe mich vergessen.
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