Drachenkinder
Haaren.
»Mama, halte meine Männer nicht von der Arbeit ab!«
»Nein. ’tschuldigung.« Kleinlaut krabbelte ich die Leiter wieder herunter.
»Los, ab mit dir ins Bett!«, sagte Dadgul im Befehlston.
Ich trollte mich in mein Zimmer. Was war denn das gerade gewesen? Hatte ER MICH wie ein unartiges Kind ins Bett geschickt? Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich damals in Bergfeld genauso mit ihm gesprochen. Jetzt zahlte er es mir heim.
37
»Du, sag mal, Dadgul, wir haben doch vor einigen Jahren schon Grund in Katachel Arab gekauft, um dort Flüchtlingen Häuser bauen zu können. Für Assad haben wir dort doch auch schon ein kleines Haus errichtet.«
»Ja?« Dadgul sah von seinem Handy auf. »Wieso?«
»Da gibt es doch noch ein paar Brachflächen.«
»Ja? Wieso?«
»Wie wär’s, wenn wir darauf ein Haus für Anwar und eines für Agha bauen?«
»Wie bitte?« Dadgul schaute mich an, als sähe er mich zum ersten Mal.
»Anwar. Dein fleißiger junger Arbeiter. Der neben der Ölpresse schläft.«
»Ja. Klar, kein Problem.«
»Es ist also okay für dich, wenn wir für Anwar und Agha je ein Haus errichten.«
»Natürlich.« Dadgul beschäftigte sich weiter mit seinem Handy und tat so, als hätten wir gerade darüber gesprochen, dass es heute Abend zur Abwechslung Palau zum Abendessen gäbe.
»Dann ist das also abgemacht und besprochen.«
Ich verlor keine Zeit, denn meine Abreise nach Deutschland stand kurz bevor. Mit dem Bagger begab ich mich auf die andere Seite des Flusses, holte den Brunnenbohrer und sah mit eigenen Augen, wie er die Metallspitze in die Erde setzte, denn ohne Wasser kann nicht gebaut werden.
Anwar und Agha freuten sich wie verrückt, als ich ihnen von ihrem kleinen Häuschen erzählte, und wir fuhren jeden Tag zu ihren winzigen Grundstücken, um die Baufortschritte zu beobachten. Die beiden jungen Männer packten beide mit an, auch Hamidullah und Assad krempelten in ihrer Freizeit die Ärmel hoch.
»Wenn ich wiederkomme, sind eure Häuser fertig. Dann könnt ihr mich in euer Reich einladen.« Ich blickte mich um, ob mich sonst niemand hörte. »Hör zu, Anwar, du musst mich ab sofort immer auf dem Laufenden halten, hast du verstanden? Hier hast du etwas Geld …«
Ich kramte verstohlen in meinem Bauchgürtel und drückte ihm ein Bündel Afghani-Scheine in die Hand. »Kauf dir davon eine Telefonkarte – das muss sonst gar niemand wissen. Ich ruf dich regelmäßig an, und wenn irgendwas Außergewöhnliches passiert, meldest du dich unter dieser Nummer. Hier.« Ich kritzelte meine Bergfelder Telefonnummer auf einen Zettel. »Kannst du das inzwischen lesen?«
Anwar las mir stockend, aber fehlerfrei meine Telefonnummer mit der internationalen Vorwahl vor.
»Klasse, Anwar! Ich verlass mich auf dich.«
Schon hörte ich Reifen quietschen, und Dadgul kam herangeprescht.
»Dein Flieger wartet nicht, Mama!«
»Komm mit, Anwar. Ihr auch, Hamidullah und Assad!« Auf mein Sicherheitsaufgebot wollte ich nicht verzichten.
Die jungen Männer quetschten sich auf die Rückbank, und ich nahm neben Dadgul auf dem Beifahrersitz Platz. Während der ganzen Fahrt telefonierte der Kommandante mit dem Handy und nahm so gut wie keine Notiz von mir. Seine Fahrweise war grob und rücksichtslos. Ich klammerte mich an den Haltegurt und sah ihn von der Seite an. »He, Dadgul, fahr doch nicht wie eine gesengte Sau!«
»Ich fahre wie ein Mann!«, knurrte Dadgul und drückte noch fester aufs Gaspedal. Mir wurde schon wieder furchtbar schlecht.
Am Flughafen ging Dadgul sofort zu einer Gruppe afghanischer Soldaten, die ihn als Kommandante ehrerbietig grüßten. Vielleicht hatte er sie telefonisch herbestellt, um Eindruck zu schinden? Er genoss den großen Auftritt, ich schien keinerlei Rolle mehr zu spielen. Das war nicht mehr der Dadgul, den ich einmal gekannt hatte. Wenn ich mich an das schmächtige Häufchen Elend erinnerte, das ich so oft zum Flughafen gebracht und wieder abgeholt hatte! Wie hatte ich ihm entgegengefiebert, und wie besorgt war ich um ihn gewesen, wenn er wieder abfuhr!
»Tja, dann wollen wir mal!« Mit Hilfe meiner treuen Begleiter vom Rücksitz wuchtete ich meinen Riesenrucksack aus dem Kofferraum und begab mich zu der Militärmaschine der deutschen Bundeswehr, die mich mitnehmen würde.
»Pass auf dich auf, Anwar!« Ich drückte den verschüchterten jungen Mann kurz an mich. »Und nicht vergessen: Wir beide haben ein kleines Geheimnis! Solltest du das Häuschen NICHT bekommen, sagst du mir
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