Drachenkinder
sofort Bescheid, ja? Auch wenn dir sonst irgendwelche Ungereimtheiten auffallen! Und sprich dich immer mit Agha ab, hörst du!«
Anwar war bedrückt und still. »Guten Flug, Ade Sheni Hagei, und danke für alles!«
»Schon gut.« Ich blickte mich suchend um: Wo war denn Dadgul? Stand der etwa immer noch draußen bei seinen Kumpels auf dem Parkplatz und ließ sich huldigen? Hatte er noch nicht mal mehr den Anstand, mir auf Wiedersehen zu sagen?
»Moment!«, sagte ich zu den Soldaten der deutschen Bundeswehr. »Eine Minute.«
Entschlossen stiefelte ich noch mal raus. So wollte ich nicht fliegen. Dieses Nicht-Verabschieden würde mich sonst noch monatelang belasten. Man sollte sich immer vertragen, bevor man auseinandergeht.
»He, Dadgul. Ich bin dann mal weg.«
»Wie?« Dadgul fuhr herum, als wäre ich eine lästige Fliege. »Ach so, ja, dann tschüs.«
Dann schnatterte er wieder wie ein Maschinengewehr auf seine Untergebenen ein.
Das war alles.
Beklommen stiefelte ich hinter den deutschen Soldaten her, die gerade im Gänsemarsch die Militärmaschine bestiegen. Mit meinem schweren Rucksack ließ ich mich auf die Längsbank fallen und verstaute ihn zwischen den Beinen. (Weit und breit war keine Stewardess in Sicht, die mir eine Tageszeitung oder ein Glas Sekt anbieten wollte oder mir erklärte, wie die Kopfhörer für den Film funktionieren.)
»Na, Frau Schnehage? Wieder eine gute Zeit gehabt?«, fragte der Offizier, der neben mir saß.
»Ja, danke. Alles bestens«, sagte ich und schaute gedankenverloren ins Leere.
»Hallo Liebes, mach doch mal eine schöpferische Pause!«
Micki stand lächelnd in der Tür meines Arbeitszimmers und hielt eine Kanne Kaffee in der Hand, aus der ein betörender Duft strömte. »Vanessa hat uns einen Kuchen gebacken. Komm auf die Terrasse!«
»Puh, Micki, ich würde ja gern, aber ich muss hier erst noch die Quittungen für die Spender …« Übermüdet fuhr ich mir durchs Haar. »In den letzten drei Monaten ist so viel zusammengekommen …«
»Gib dir einen Ruck, mein Herz! Du siehst bedrückt aus. Ein bisschen Sonne wird dir guttun.«
Micki beugte sich zu mir, legte die Hand auf meine Schulter und warf einen Blick auf meinen Bildschirm: »Sieht doch gut aus! Die Arbeiten in Katachel gehen offensichtlich zügig voran?«
»Ja, laut Dadguls letzter E-Mail sind die Häuser für Anwar und Agha so gut wie fertig!«
Ich zeigte Micki das mitgeschickte Bild: Zwei neue Höfe warteten auf ihre neuen Bewohner. Sie sahen schmuck und propper aus. Schöner wohnen für Afghanen.
»Da siehst du, dass es auch ohne dich läuft! Komm, Liebes.« Micki zog mich sanft hoch und führte mich auf die Terrasse, wo Vanessa schon den Tisch gedeckt und den Kuchen angeschnitten hatte.
»Mama! Dass man dich auch mal wieder zu Gesicht bekommt!« Sie küsste mich lächelnd auf beide Wangen. Gott, was war meine Vanessa für eine Schönheit geworden! (Gut, dass ich die a) nicht verschleiern und b) nicht an einen Afghanen verkaufen musste!)
»Ach, Liebes, danke für dein Verständnis!« Aufatmend ließ ich mich auf einen gepolsterten Gartenstuhl sinken und schloss kurz die Augen. Die Amseln zwitscherten, und im Nachbargarten wurde Rasen gemäht. Der Duft des frisch gemähten Grases zog zu uns rüber. Wie einfach es doch wäre, einfach hierzubleiben, die Beine baumeln zu lassen und mich auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Nicht mehr in das Pulverfass Afghanistan zurückzukehren. Aber das wäre Verrat an »meinem« Projekt Katachel e . V. gewesen. An Hunderten von deutschen Spendern, die sich auf mich verließen. Und erst recht an Hunderten von Afghanen, die all ihre Hoffnung auf mich setzten.
»Ihr seid wirklich Schätze, dass ihr mich so toll unterstützt!«
»Aber Mama, du weißt doch, wie stolz wir auf dich sind!« Vanessa strich sich das schwarz glänzende Haar mit einer anmutigen Geste hinter die Ohren. »Apfel oder Zwetschge?«
»Ähm … alles was nicht Palau ist.«
»Erzähl doch mal!« Micki goss mir Kaffee ein und stellte mir den Süßstoff dazu. »Wie ist inzwischen dein Verhältnis zu Dadgul?«
Ich schüttelte den Kopf. »Eigentlich tut er so, als wenn nichts wäre, aber irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl. Meiner Meinung nach will er alles alleine bestimmen. Angeblich ist er mit Kandigol und den Kindern in Kabul auf Verwandtenbesuch. Anscheinend verhandeln sie mit dem reichen Knilch wegen Anissa …«
»Lass sie einfach machen.« Micki goss mir Milch in den Kaffee. »Das ist ihr
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