Drachenkinder
belästigen.
Immerhin kam noch ein Jeep angefahren. Der magere Fahrer sprang im langen Hemd heraus, öffnete die Klappe und warf mir unter lautem Geschepper die Säcke mit den Ersatzteilen vor die Füße.
»Hier. Bitte. Gern geschehen.« (Also, ich vermute mal, dass er so etwas sagte.)
»Ja, wie jetzt!?« Genervt kratzte ich mich am Kopf(tuch).
»Geht der jetzt davon aus, dass wir die selbst zuordnen? Ersatzteile für hundert Rollstühle? (Mann, das wäre was für meinen Vater gewesen! Nur dass es in seiner Bastelhütte nicht so bestialisch stank.)
»Ach, Schnehage«, wurde ich beruhigt. »Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf. Inshallah! (Der Kölner würde übersetzen: »Et kütt, wie et kütt!«) Wenn ein Ersatzteil gebraucht wird, wird sich schon das Rechte finden!«
Und solange es nicht gebraucht wird, können die faulen Säcke auf den Säcken hier auch ein Schläfchen machen, dachte ich grimmig. Aber irgendwann war es geschafft, und die Verteilung im Flüchtlingslager begann.
Die war wesentlich komplizierter als gedacht: Es gab nämlich tausendmal mehr »Interessenten« an unseren Hilfsgütern, als wir verteilen konnten. Leider würde das mit der wunderbaren Brotvermehrung hier nicht klappen! Ich musste also auswählen. Aber nach welchen Kriterien? Ich konnte ihre Schilderungen nicht verstehen. Die Menschen zerrten an mir, hielten mir ihre grauhäutigen ausgemergelten Babys entgegen, zeigten mir ihre offenen, eiternden, stinkenden Wunden, indem sie ihre zerfetzten Gewänder hochrissen. Nein danke!, wehrte ich ab. Lasst ruhig stecken. Ich habe einen Eindruck. Kein schöner Gedanke, dass ich hier die Schiedsrichterin sein sollte. Doch die von der HFA schienen den Anblick bedürftiger Menschen gewöhnt zu sein und ließen es langsam angehen. Doch kaum tauchte Presse auf, drängten sie sich ins Rampenlicht. Wochen später sollte ich in der Zeitung den Bericht sehen: »Die HFA verteilt Rollstühle an die Ärmsten der Armen.« (Und die blonde Frau mit dem Kopftuch im Hintergrund – wer war das noch mal?)
Ein Vater hielt mir seinen kleinen Jungen entgegen, dessen Schienbein einfach weggefault war. Abdul Haq hieß der kleine Bursche. Es sollte mir gelingen, auch diesen Jungen nach Wolfsburg zu vermitteln, wo eine Knochentransplantation vorgenommen wurde. Dort wurde klar, dass der Junge mitwachsende Krücken brauchen würde. Leider konnte er nicht mehr zu seinem Vater nach Peshawar zurückkehren, denn sonst wäre er bald wieder als Krüppel geendet. Dafür sollte er in Christel und Rudi Klauß eine liebevolle Pflegefamilie finden, die ihn schließlich als Hagen Klauß adoptierte.
Sechs Monate später brach ich zu meiner zweiten Reise nach Pakistan auf. Auch in der Zwischenzeit war ich nicht untätig gewesen: Unermüdlich telefonierte ich herum, erklärte, schickte Fotos, bat und drängte. Bis ich Micki stolz vermelden konnte, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, mehrere Dutzend Patenschaften für Witwen und Waisen im Flüchtlingslager zu vermitteln! Ich hatte ein eigenes Spendenkonto dafür eingerichtet.
Und als ich im NDR einen Beitrag über die Hilfsorganisation »Kieler Gruppe« sah – Ärzte und Pfleger, die in ihrem Urlaub ehrenamtlich in Krisengebieten arbeiten –, stellte ich gleich den Kontakt zur HFA in Berlin her. Und tatsächlich! Zwei Ärzte der »Kieler Gruppe« würden mich nach Pakistan begleiten – ein Team vom Stern war auch mit dabei. Ich war begeistert – besser konnte ich gar nicht für mein Projekt werben!
Doch ich konnte ja nicht ahnen, dass sich mein Leben mit dieser Reise vollkommen verändern sollte. Denn auf ihr begegnete ich ihm: dem Drachenkind, das zur Drachenbrut werden sollte.
7
Wir deutschen Helfer waren wieder im Greens -Hotel untergebracht, die Reporter und Fotografen vom Stern im etwas feudaleren Interconti . Ich hatte keine Lust mehr auf die Kopftuch-Abendkleid-Variante, in der ich mir verkleidet vorkam. Deshalb zog ich mich an wie ein Mann: lange Militärhosen mit Seitentaschen an den Oberschenkeln, Turnschuhe, eine weite, langärmelige Bluse, Kappe. Meine blonden Haare hatte ich kurz geschnitten. (Für Föhn, Lockenwickler und so ein Gedöns gab es erstens keine passenden Steckdosen, und zweitens hatte ich einfach keine Zeit für solchen Schnickschnack!)
Als Erstes stand ein Besuch im Büro der Afghan Union Aid ( AUA ) auf dem Programm. Das war die örtliche Vertretung der HFA . Hier sollten Kinder untersucht werden, die für eine Behandlung in deutschen
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