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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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außerhalb meiner Vorstellungskraft.) Darüber hinaus wurde ein Versorgungsgefäß vom Hals in den Gaumenbereich verlegt. Die nächsten vier Jahre würde Dadgul nur durch eine Sprachkanüle am Hals atmen können.
    Das waren ja rosige Aussichten. Ich schluckte. Klar, dass Dadgul depressiv war. Wahrscheinlich hatte er sich vorgestellt, im Wunderland Deutschland ginge alles ganz fix, so nach dem Motto: »Da werden Sie geholfen.« Gaumen, Kiefer, Zähne, hübsche Nase, und wupp: neuer Dadgul. Leider nein, dachte ich betroffen. Selbst in Deutschland brauchen Wunder ihre Zeit.
    »Na ja, ich wollte Ihnen nur ausrichten, dass er ständig von Ihnen spricht.«
    »Ja, danke. Toll. Grüßen Sie ihn lieb.«
    »Sie scheinen der einzige Mensch zu sein, den er in Deutschland hat.«
    »Ja, ähm, wenn er das so sieht.« Ich kratzte mich am Kopf.
    »Na ja, um ehrlich zu sein, müsste er dringend mal Besuch bekommen. Wir haben Angst, dass er sich sonst was antut.«
    Dadgul Delawar. Das »Monster« von Afghanistan. Verlangte nach mir. Verdammt! Stuttgart war nicht gerade um die Ecke.
    Andererseits: Er brauchte mich. Ich hatte ihm Hoffnungen gemacht. Ich war die Einzige gewesen, die sich um ihn gekümmert hatte. Auch wenn er kein Leckerchen war: Er war ein Mensch. Mit ganz normalen Sehnsüchten und dem Recht auf menschliche Zuwendung. Ich schluckte. Wie sagte Micki immer so schön? Wer A sagt, muss auch B sagen.
    Die Zugfahrt würde ewig dauern. Für einen Flug hatte ich kein Geld. Hallo? Kein Geld? Wer tonnenweise Medikamente zusammenbettelt, der kriegt auch ein Flugticket. Ist doch für einen guten Zweck. Der Hörer war noch warm, als ich mich mit der Lufthansa in Braunschweig verbinden ließ.
    »Sie wollen was? Ein Flugticket geschenkt bekommen?« Am Schalter herrschte doch einigermaßen Verblüffung. Erst Schweigen, dann Gelächter. »Hört mal, hier ist eine Mutti dran, die will für einen Krankenbesuch ein Gratisticket!«
    »Vielleicht will sie auch noch ein Upgrade in die Businessclass!«, spottete jemand im Hintergrund.
    Ich straffte die Schultern. Freunde. Verarschen kann ich mich alleine. (Da war sie wieder, die Derbheit in der Grazie.) Aber ich wäre nicht Sybille Schnehage, wenn ich nicht nach zehn Minuten Überzeugungsarbeit geleistet hätte. Die Lufthansa spendierte mir einen Freiflug von Hannover nach Stuttgart. Und wieder zurück.
    Also, ein Blind Date ist ja schon aufregend, aber ein Blind Date mit einem »Monster«? Fröstelnd stand ich vor dem Stuttgarter Flughafen und wartete auf Pfleger Syrus, meinen Abholer. Ein bisschen bekloppt bist du ja schon, Sybille Schnehage!, dachte ich mir, während ich neben den wartenden Taxis auf und ab lief. Wenn es jetzt wenigstens ein heimlicher Geliebter wäre, mit dem ich mich hier traf!
    Da kam ein dunkelhäutiger junger Mann mit schwarzem Bart im Parka auf mich zugestapft.
    »Syrus?«
    »Nein. Hadji. Der Bruder. Syrus hat Dienst.«
    Och, warum auch nicht, redete ich mir Mut zu. Der eine ist wie der andere. Kennen tust du keinen, also warum ihm nicht vertrauen? Und so setzte ich mich in den klapprigen Kleinwagen und gurkte mit ihm durch Stuttgart. (Andere Ehemänner würden ihrer Frau den Hintern versohlen, wenn sie sich solche Eskapaden leistete, dachte ich halb vergnügt, halb bange. Zum Glück war mein Micki so cool!)
    Dann stand ich im Krankenhaus. Intensivstation. Eintritt nicht gestattet. Mein Herz klopfte bis unter die Haarwurzeln.
    »Du meinst, wir sollten …?«
    »Ja! Syrus geht da auch immer rein!«
    Wir traten ein. Dadgul lag im weißen Nachthemd und Jogginghose, an viele Schläuche angeschlossen, im Bett und traute seinen schwarzen Augen nicht. Anscheinend hatten die Gebrüder nichts von Damenbesuch gesagt.
    »Tja, Junge. Da staunst du. Überraschung!«
    Dadgul begrüßte mich auf afghanische Weise: Er nahm meine beiden Hände in seine und verbeugte sich, so tief es seine Schläuche zuließen. Er war sprachlos vor Freude.
    Ich musterte sein frisch operiertes, mit Narben übersätes Gesicht. Den Bart hatte man ihm abrasiert, und Haut vom Oberschenkel war auf die Stirn transplantiert worden. Dort ringelten sich interessante Männerbeinhaare. Über der Augenbraue verlief eine lange dicke Naht, deren rote Stiche noch deutlich zu erkennen waren. Ein kurzer schiefer Hautlappen sollte die Nase darstellen. Aber es war höchstens die vage Idee einer Nase: Rechts war sie viel zu kurz und endete stark seitenverschoben in einer nässenden Öffnung. Die Oberlippe gab es nicht mehr,

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