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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Bedingung, dass diese und jene Aufgabe erfolgreich gelöst sein musste, und zwar ohne zu schmieren, zu fluchen oder mit dem Messer zu drohen und sah mich dann im Gegenzug nach einer Fahrschule um.
    Natürlich hatte ich nicht vor, Dadgul den teuren Führerschein zu bezahlen. (Ich bin doch nicht blöd, Mann!) Den sollte er mal schön in Pakistan machen, da kostete er nur umgerechnet zwanzig Mark. In Pakistan braucht man auch kein fahrerisches Können, man muss nur wissen, dass der Stärkere Vorfahrt hat und Frauen grundsätzlich nicht ans Steuer gehören. Dennoch sollte Dadgul fahren können, bevor er sich in das chaotische Verkehrsgewühl seiner Heimathauptstadt Kabul stürzte, und so telefonierte ich in Wolfsburg die Fahrschulen ab. (Natürlich ersuchte ich um Gratis-Unterricht. Ohne Führerscheinprüfung.)
    Und, gleich der erste Fahrlehrer sagte nicht etwa: »Gute Frau, haben Sie noch alle Tassen im Schrank? Wieso soll ich einen afghanischen Kriegsversehrten umsonst unterrichten?« Sondern: »Frau Schnehage, aber gern! Am Dienstag um drei, wenn es recht ist!«
    Irgendwie hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass ich mich für ein afghanisches Kriegsopfer starkmachte und mich sowieso nicht abwimmeln ließ. Also. Am Dienstag um drei. Vanessa zum Turnen, Simon zum Schwimmen und Dadgul zur Fahrschule.
    »Sitz gerade, bohr nicht in der Nase, ach so, du hast ja keine (Spaß), und sag artig guten Tag!«
    Dadgul ließ nervös die Fingerknöchel knacken, als wir schon Schritte auf der Treppe hörten. Oh. Frauenschuhe. Nun, das war bestimmt die Sekretärin. Mitnichten. Eine junge, knackige Fahrlehrerin in engen Jeans erschien mit knallrot pedikürten Zehen und sagte freudig: »Na, dann wollen wir mal!«
    Dadgul sah panisch zu mir herüber. Jetzt hatte er schon viel erduldet und erlitten, insgesamt achtzehn Operationen im Gesicht, er hatte von einer Achtjährigen Lesen und Schreiben gelernt und aß inzwischen einwandfrei mit Messer und Gabel, er konnte eine Serviette benutzen und duschte viermal täglich, aber DAS ? Er sollte von einer FRAU fahren lernen?
    »Hier«, sagte die reizende junge Dame, »schau mal auf meine Füße.«
    Ungern tat Dadgul das. Äußerst ungern. Er errötete bis in die Haarspitzen.
    »Rechts ist Gas und Bremse, links Kupplung. Checko?«
    Wie ein begossener Pudel zog Dadgul mit der Schönen ab, und ich gönnte mir erst mal einen Kaffee. Dabei machte ich mir noch mal bewusst, was das alles für Dadgul bedeutete. Denn der afghanische Dresscode für Frauen, erst recht in einer so abgeschiedenen ländlichen Gegend wie Katachel, abseits von jedem europäischen Einfluss, sah anders aus: Nach altem pashtunischem Brauch tragen Frauen bunte Pluderhosen, darüber knielange Kleider mit langen Ärmeln. Innerhalb des Familienhofs, Purdah genannt, wird das Haar mit Tüchern bedeckt. Außerhalb der Purdah leistet frau sich dann noch zusätzlich die Burka, eine Art Kappe, an der ein Plisseeumhang befestigt ist, der die Trägerin komplett verhüllt. Geguckt wird durch ein Häkeldeckchen in Augenhöhe. Das hat den Vorteil, dass niemand außerhalb der eigenen vier Wände Rückschlüsse auf Alter, Figur oder Aussehen ziehen kann. (So gesehen, erspart es der Trägerin auch viel Stress. Das Wort Problemzone ist gänzlich unbekannt.) Die afghanischen Ehemänner, aber auch Väter, Brüder, Cousins oder wer auch immer sich für die Ehre des weiblichen Wesens zuständig fühlt, gehen davon aus, dass Gesicht und andere Intimzonen (sprich alles) ausschließlich dem engsten Familienkreis vorbehalten sind. Die Frauen fühlen sich beschützt und kennen es nicht anders. Und ja, auch mit der Burka kann man flirten: Hat man den Haarzopf ganz nach oben gesteckt, sodass eine dicke Beule am Oberkopf durch die Burka zu sehen ist, heißt das: Ich bin ein junges Mädchen und noch zu haben. Je älter man ist, desto niedriger der Dutt.
    Kein Wunder, dass für Dadgul vieles unfassbar war, als er in Deutschland ankam. Von den halbnackten Krankenschwestern, die ihn sogar bis unter die Dusche verfolgten (und deren Achselhaare er unter dem Kittel sehen konnte – was ihn offenbar mehr schockte als seine eigenen, die ihm im Mund wuchsen!), bis hin zur selbstständigen Frau Schnehage, die ohne Mann in der Stadt unterwegs ist, Auto fährt, über ein eigenes Konto verfügt, zum Friseur geht, sich im Baumarkt ohne Scheu mit fremden Männern unterhält und eigenständig bestimmt, was es zu essen gibt – eine Ungeheuerlichkeit! Schlimmer noch: die

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