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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sollte.
    Ich war stolz auf meine beiden Kinder. Egoistisch waren sie jedenfalls nicht.

11
    »Was hast du mit Dadgul vor, wenn er seine vierzig Operationen hinter sich hat?«
    Micki saß mir am gemeinsamen Schreibtisch gegenüber und sah von seinem Computer auf. Ich schrieb gerade Spendenquittungen an meinem Laptop, hatte ich doch mit und ohne Dadgul an tausend Haustüren geklingelt und um Spenden für sein Heimatdorf Katachel gebettelt.
    »Er muss wieder in seine Gesellschaft eingegliedert werden, ich weiß.« Stolz starrte ich auf die stattliche Summe, die ich zusammengebettelt hatte: »Viertausendsechshundertdreißig Mark und achtundzwanzig Pfennige!«
    »Klasse, Sybille, ich bin stolz auf dich!« Micki schaute mich über seinen Brillenrand hinweg anerkennend an. »Aber Schießen kann für ihn keine Perspektive sein.«
    »Ich weiß!« Ich warf den Drucker an, um die Spendenquittungen auszudrucken. »Weißt du, was ich mir gedacht habe?«
    »Na?«
    »Als Erstes muss er fotografieren lernen. Ich möchte, dass er ganz viele Fotos von bedürftigen Menschen in Afghanistan macht und sie zu uns nach Deutschland schickt, damit wir gezielt Patenschaften vermitteln können.«
    »Eine großartige Idee!« Micki nickte. »Schenken wir ihm eine Kamera!«
    »Aber das nächste Fotolabor ist weit. Er muss richtig Entwickeln lernen!«
    Gesagt, getan. Unermüdlich übten wir mit ihm, mit Mickis alter Kamera umzugehen und die Negative in der Dunkelkammer zu entwickeln. Zuerst knipste er wild in der Gegend herum, schnitt Köpfe ab (eine alte Angewohnheit eben) und ärgerte sich maßlos über seine Verstümmelungen. (Wir lachten ihn natürlich aus.) Aber er bewies Geduld und Zähigkeit. Er lernte vernünftig Belichten, Fotografieren und Entwickeln, und in der Dunkelkammer hingen ständig neue Kunstwerke, auf die er stolz war wie Bolle.
    Doch vom Fotografieren allein konnte er nicht leben, deshalb kam ich auf die Idee, ihm das Imkerhandwerk beizubringen. Dadgul hatte immer wieder von den fruchtbaren Hochebenen Afghanistans geschwärmt, wo die Natur noch in Ordnung war, wo Störche lebten und Schwärme von Insekten. Ein wahres Paradies, wenn man es zu nutzen weiß (also nicht reinballert wie bisher).
    »Das hier sind Arbeiterbienen, das sind Drohnen, und das ist die Königin! Vorsicht, nicht anfassen!« In Schutzanzügen standen wir vor den Kästen, umschwirrt von Tausenden von Honigbienen. Dadgul war ein gelehriger Schüler.
    Nach einigen Wochen marschierte unser neuer »Bieneningenieur« schon selbstständig zum Bienenhaus. Ich telefonierte gerade mit einer willigen Spenderin, die bereit war, eine Patenschaft von fünfzig Mark im Monat für eine Witwe mit zwölf Kindern in Katachel zu übernehmen, als ich Dadgul, umschwärmt von hundert aggressiven Bienen, in Panik nach Hause flüchten sah. »Mamaaaaaa!«
    »Entschuldigung, ich muss auflegen!«
    Ein Griff zum gefüllten Wassereimer, der auf der Terrasse stand, und schon überschüttete ich meinen kopflosen Guerillakrieger mit Wasser. Wasserscheu, wie sie waren, zogen die Bienen böse brummend ab, und Dadgul stand da wie ein übergossener Pudel. Über zwanzig Stiche hatte er, hauptsächlich in den Beinen, aber auch leider einen auf der – Nase. Tja, Dadgul. Pech gehabt.
    »Ach, Dadgul. Kann man dich denn nicht einen Moment aus den Augen lassen! Aber egal, Lehrgeld ist das am besten angelegte Geld. Los, rein mit dir, du holst dir ja noch ’ne Erkältung!«
    Das ließ sich Dadgul nicht zweimal sagen. Jetzt hatte er wieder einen Grund, lange und ausführlich zu duschen. Und während er später genüsslich im Fernsehsessel lümmelte und dem VfL Wolfsburg zuschaute, kümmerte ich mich um seine zwanzig Bienenstiche. Dabei erklärte ich ihm, dass bei uns in Deutschland sogar ein cremiger Mandelkuchen so heißt. (Man weiß ja nie, wozu ein Mudjahed so eine Information noch brauchen kann.)
    Da Dadgul ein Riesen-Nudelfan geworden war – bei seiner Großbaustelle Mund blieb ihm auch gar nichts anderes übrig als Pasta, Pasta und nochmals Pasta –, fragte ich mich eines Tages, wie er sich nach seiner Rückkehr nach Afghanistan ernähren sollte. In Katachel gab es Reis, Reis und nochmals Reis. Und zwar mit Reis. Den konnte er nicht kauen, somit schied dieses Grundnahrungsmittel für Dadgul aus.
    »Du, Dadgul, was ich dich schon immer mal fragen wollte: In Katachel gibt es keine Supermärkte mit Barilla, Birkel und Co?« Das war natürlich eine rein rhetorische Frage.
    Dadgul verneinte.

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