Drachenkinder
kleine Schwester seines besten Freundes, der mit ihm im Widerstand kämpfte. Obwohl er sie noch nie gesehen hatte, setzte er sich das Mädel in den Kopf. Irgendwann wagte er es, mit seiner Mutter Nigargh darüber zu sprechen, aber die war total dagegen: Das Mädel kann nicht kochen, das Mädel kann keine Feldarbeit verrichten, das Mädel kann kein Fladenbrot backen.
Aber das könne sie doch lernen, bettelte Dadgul.
Nigargh brauchte Wochen, bis sie bereit war, mit Kandigols Mutter darüber zu sprechen.
Schließlich traf man sich mit Kandigols Eltern, um mit den Verhandlungen zu beginnen.
Nach weiteren Monaten stand der Brautpreis für Kandigol fest: umgerechnet zwanzig Mark, billiger als eine Kuh!
Trotzdem – als der junge, gut aussehende Krieger seine Braut endlich zu sehen bekam, war sein Glück perfekt: Sie war vielleicht dreizehn Jahre alt, ihre Brüste begannen gerade zu knospen, und sie war kräftig und gesund.
Fairerweise wurde Kandigol bei der Trauung über dem Koran gefragt, ob sie auch einverstanden sei, Dadgul zu heiraten. (Ja! Man darf nämlich Nein sagen als Frau! Doch was einem dann blüht, entzieht sich jeder Vorstellungskraft! Von wegen die Braut, die sich nicht traut! Da zeigt sich die Verwandtschaft aber durchaus verstimmt!) Da Dadgul jung war und nicht etwa ein lüsterner, alter Tattergreis, dem sie als Drittfrau untergejubelt werden sollte, konnte sich Kandigol glücklich schätzen! Dadgul war das Beste, was ihr passieren konnte. Zumal ihr Bruder immer von ihm schwärmte!
Die Hochzeit wurde zelebriert. Wie üblich feierten Männer und Frauen drei Tage lang voneinander getrennt in verschiedenen Zelten. Kandigol war nun das Opfer von Nigargh, ihrer Schwiegermutter. Nie konnte sie es ihr recht machen.
Die Hochzeitsnacht wurde von beiden Müttern überwacht, sprich, das Ergebnis auf einem blütenweißen Laken streng kontrolliert. (Auch hier drohen einer Braut drastische Strafen, falls der besagte Fleck nicht echt ist. Unter Umständen sogar die Todesstrafe.)
Kandigol hatte das Glück, ohne Komplikationen Kinder zu bekommen. Dadgul schickte sie dann einfach jedes Mal zu ihrer Mutter. Bei den Pashtunen steht die Ehre der Frau und somit die Ehre des Mannes an höchster Stelle. Daraus folgt, dass kein fremder Mann die Frau jemals sehen, geschweige denn berühren darf. Geburtshilfe durch einen männlichen Arzt oder gar ein Kaiserschnitt wird dadurch völlig unmöglich. (Aber eine Ärztin wird gern gesehen. Fragt sich nur, wo die lesen und schreiben gelernt hat!)
13
Weihnachten stand vor der Tür, und wieder einmal war unsere Familie in Bergfeld mit Plätzchenbacken, Dekorieren und Geschenkeverpacken beschäftigt.
In Simons Schule gab es eine Weihnachtsfeier. Die Kinder würden ein Krippenstück aufführen, und Simon gab den Josef. Ganz großes Kino! Das musste sein Fußballkumpel unbedingt auch sehen.
»Los, Dadgul, du kommst mit!«
»Ich weiß nicht …«
Seit der Brechenmacher-Hochzeit, bei der Dadgul noch nicht mal Vanessas Matten hatte tragen dürfen, hielten wir uns mit öffentlichen Auftritten zurück.
Dadgul sah mich ratlos an. Einerseits wollten wir nie wieder so eine Erfahrung machen wie damals, andererseits war Weihnachten das verdammte Fest der Nächstenliebe! Ich wollte auf keinen Fall, dass Dadgul wieder in schlimme Depressionen versank und wir bei unserer Rückkehr einen heulenden Mudschahedin vorfinden würden, der sich mit Selbstmordabsichten trug!
»Na los, zieh dir was Anständiges an!« Auffordernd warf ich einen Blick auf seine Zimmertür, der besagte: aber dalli!
Beim Krippenspiel verzogen wir uns in eine dunkle Ecke hinter einer Säule, und beim anschließenden Kuchenessen saßen wir abseits, mit dem Gesicht zur Wand, um niemandes ästhetisches Empfinden zu stören.
»Mama, da kommt Simons Lehrerin!« Vanessa stupste mich warnend an.
Ich versuchte, mich unsichtbar zu machen und zog den Kopf ein.
»Frau Schnehage, darf ich Sie mal sprechen?«
Oh. Mist. Hoffentlich sagte sie jetzt nicht so was Ähnliches wie Frau Brechenmacher: »Frankensteins sind hier nicht erwünscht, auch nicht mit gesenktem Blick« oder so.
Das Gegenteil war der Fall! Sie setzte sich freundlich zu uns und fragte Dadgul, ob Simons Klasse nicht eine Patenschaft für eine Witwe in seiner Heimat übernehmen könne!
»Wie? Das meinen Sie ernst?« Fast wäre ich der Guten um den Hals gefallen!
»Ja! Wir diskutieren gerade mit den Kindern über den Sinn des Weihnachtsfests, und beim Einstudieren
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