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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Ausübung von Sport. Eine Frau, die auf dem Sportplatz herumrannte und schnaufte, war eine absolutes Unding. Beim Fernsehen kroch er fast unter das Sofa, wenn harmlose Liebesszenen vorkamen. Kaum war eine Frau spärlich bekleidet oder ein Liebespaar schickte sich an, sich zu umarmen, verließ Dadgul verschämt das Zimmer und krächzte: »Ni gut für Moslem, ni gut!«
    Ja, und dass wir Frauen uns unsere Männer selbst aussuchen, dass wir aus Liebe heiraten (häh? Wieso denn das? Was sollte DAS denn!), lag für den armen Dadgul erst recht außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Als Pashtune war es Dadgul gewohnt, im Großfamilienbund zu leben, das heißt mit allen Verwandten bis zum vierten Grad, wenn nicht noch weiter. Die Ältesten hatten das Sagen. So konnte es sein, dass der Urgroßvater den Ton angab, obwohl er schon nicht mehr ganz dicht im Hinterstübchen war, während ein hellwaches Mädchen in der Rang- und Hackordnung noch hinter Hund, Katze, Maus rangierte. Nachdenklich rührte ich in meiner Kaffeetasse, als mein Schützling auch schon um die Ecke gebraust kam.
    »Na Dadgul, wie war die Fahrstunde?«
    Dadgul strahlte hinter der Windschutzscheibe mit der Sonne um die Wette, als er stolz vorfuhr und nach einigem Vor und Zurück sogar korrekt einparkte.
    »Er stellt sich sehr geschickt an!« Leichtfüßig sprang die Fahrlehrerin aus dem Auto und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Dadgul, noch zehn, zwölf Stunden, dann kannst du es!«
    Wieder zu Hause, leerte ich den Briefkasten. »Post, Dadgul!« Ich wedelte mit einem zerfledderten Umschlag. Endlich kamen die von uns schon lange angeforderten Bilder von seinen Kindern! Ich hatte doch noch keines gesehen!
    Neugierig entriss ich Dadgul das Päckchen, warf mich neben ihn aufs Sofa und zog die Fotos heraus.
    Zum Vorschein kam das Bild eines etwa Fünfjährigen, der mit traurigen Augen auf einer Art Feldbett saß, neben sich eine Kalaschnikow und hinten an der Wand ein Militärfunkgerät.
    »Ist das dein Sohn, Dadgul?«
    »Hmhm.« Er nickte. »Tadjudin.«
    »Aber wo sind seine Spielsachen?«
    Blöde Frage. Das sah man doch.
    »Und seine Geschwister? Deine Frau? Deine anderen Verwandten?«
    Es waren keine weiteren Bilder von Menschen in dem Umschlag. Nur von Raketen, Panzern, Waffen und von zerstörten Häusern.
    »Dadgul«, redete ich auf ihn ein. »Du hast doch noch einen Sohn bekommen! Auch deine Töchter möchte ich sehen!«
    Dadgul ging auf sein Zimmer. Schließlich kam er mit einem kümmerlichen Schwarzweißfoto zurück, auf dem noch andere Kinder zu sehen waren. Alle starrten sie mit zerzausten schwarzen Haaren, in Lumpen gekleidet, barfuss, in die Kamera.
    »Und? Wo ist dein neuer Sohn?«
    Dadgul druckste lange herum, drehte sich von mir weg und wischte sich die Augen.
    »Hallo? Dadgul?«
    Aus dem stolzen Michael Schumacher von vorhin war ein trauriges Häufchen Elend geworden. Ich nahm ihn in den Arm. »Du hast Heimweh, nicht wahr?«
    Dadgul zuckte die Achseln. »Nein«, sagte er schließlich ruppig, »Das ist es nicht. Aber Sohn ist gar nicht Sohn. Ist Tochter.«
    »Wie?« Ich starrte ihn verständnislos an.
    Er machte ein Gesicht, als hätte er das Auto der Fahrlehrerin zu Schrott gefahren: »Mädchen. Nur Mädchen.«
    »Ja, aber …« Ich raufte mir die Haare. Dass Mädchen in Afghanistan kein Sechser im Lotto waren, hatte ich ja schon begriffen. Aber dass Dadgul mir gesagt hatte, er hätte noch einen Sohn bekommen. Hatte er mich etwa mit dieser Lüge beeindrucken wollen?
    »Dadgul.« Ich nahm seine Hände und sah ihm eindringlich in die Augen. »Du weißt doch, dass für mich ein Mädchen genauso wertvoll ist!«
    Ja. Das hatte er inzwischen begriffen. Selbst ER sah die Sache schon aus einem anderen Blickwinkel als vorher. »Sie haben es mir nicht gesagt«, rückte er schließlich mit der Wahrheit heraus.
    »Hä? Spinnen die?«
    »Ja, die Verwandten wollten mich glauben lassen, ich hätte noch einen Sohn hingekriegt, nachdem ich schon so verstümmelt bin.«
    Er wischte sich über die Augen. »Sie haben mich trösten wollen.«
    Ich war sprachlos.
    »Ich weiß es schon seit ein paar Wochen, konnte es dir aber nicht sagen. Deshalb schicken sie auch nur Foto von Sohn.«
    Er zeigte wieder auf den kleinen Jungen auf dem neuesten Bild.
    »Aha.« Da hatte ich mal wieder eine Lektion gelernt.
    »Egal, ist auch Mensch«, stieß Dadgul fast trotzig hervor.
    Ich schüttelte den Kopf. »Und wie heißt dein neues Töchterchen?«
    »Aziza.« Dadguls Augen

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