Drachenkinder
Schulbauingenieur Dadgul Delawar.
»Dadgul, wir müssen viel mehr Werbung machen!«
Über einen weiteren Artikel in den Wolfsburger Lokalzeitungen versuchte ich, die hiesige Bevölkerung auf uns aufmerksam zu machen, und schon bald klingelte das Telefon.
»Frau Schnehage? Hier ist der Eine-Welt-Laden Pueblo in Wolfsburg! Würden Sie auch einen Vortrag halten?«
»Klar«, rief ich stolz. »Sogar einen Diavortrag, der sich gewaschen hat!«
»Oh, toll«, sagte der Eine-Welt-Laden-Typ, den ich mir in selbst gestrickten Socken vor einer Kiste mit unbehandelten bolivianischen Kaffeebohnen und runzeligen Bioäpfelchen vorstellte. »Dann rühren wir jetzt die Werbetrommel, und Sie können mit einem vollbesetzten Gemeindehaussaal rechnen!«
Oh, jetzt ging mir aber die Flatter. »Dadgul, wir haben einen Auftritt! Meinst du, ich sollte noch vorher zum Friseur …?«
»Du kannst dich auch ganz einfach verschleiern«, sagte Dadgul grinsend.
»Blödkopp!« Ich zog ihm seine VfL -Wolfsburg-Fankappe ins Gesicht.
Zitternd vor Lampenfieber fuhren wir mit unserem Diaprojektor und Tausenden von Fotos, die ich im Flüchtlingslager in Peshawar gemacht hatte, nach Detmerode und schleppten unsere Ausrüstung die Vielen Kirchenstufen rauf.
»Wir müssen heute richtig gut sein, Dadgul!«
»Wir SIND gut!«
Dadgul hatte sich fein gemacht. Mit gewichtiger Miene stellte der Technikingenieur die Leinwand auf. Einige ältere Damen rund um den Arbeitskreis von Pastor Brehmer hatten sich lose auf Holzstühle verteilt und harrten interessiert der Dinge, die da kommen sollten. Dadgul schob Dias, und ich stand vorn an der Leinwand und erklärte und erklärte. Mit geröteten Wangen, einer Betonfrisur made by Dorffriseur »Chez Ingrid« und in dem hellblauen Kostüm, das ich schon bei der Brechenmacher-Hochzeit angehabt hatte, schilderte ich das Schicksal dieser und jener Familie sowie die Leidensgeschichte jeder Witwe mit acht bis dreizehn Kindern. Zwischendurch ließ ich auch Dadgul zu Wort kommen – als Vorbereitung auf die großen Aufgaben, die das Leben als Projektleiter noch für ihn bereithalten würde – aber die älteren Damen im Saal verstanden ihn doch sehr schlecht.
»Der Ausländer mit der Hasenscharte soll doch lieber die Frau reden lassen«, tuschelte eine ältere Dame ihrer Nachbarin zu. (Hasenscharte! Da machte sie aber aus dem Elefanten eine Mücke!) Tja, dachte ich und warf Dadgul einen tröstenden Blick zu. Hier in diesem unserem Lande darf eine Frau sehr wohl den Mund aufmachen. Nur bei euch nicht. Aber das werden wir ändern!
Das Resultat unseres engagierten Diavortrags waren 2000 Mark Spenden!
»Mensch Dadgul, wir sind ja richtige Showtalente!« Jubelnd schwenkte ich den Einzahlungsbeleg unseres neuen Spendenkontos. »Los, du kannst dem Gouverneur schreiben, dass sie das Baugrundstück kaufen sollen!«
Das tat Dadgul. Dann kam allerdings ein Antwortschreiben an SIR Dr. Michael Schnehage (grummel, schmoll), dass der Gouverneur Maulawi es bevorzuge, zuerst die zerstörte Schule an der Schnellstraße Kunduz-Khanabad wieder aufzubauen. Katachel sei nicht so wichtig. Mir schwoll der Kamm. Mit meinen Spendengeldern! Wollte ER bestimmen, wofür ich gesammelt hatte? Ich straffte die Schultern. Nö. Nicht mit Sybille Schnehage, mein lieber Maulawi!
Es ging mir weniger darum, recht zu behalten. Na klar war die Schnellstraße Kunduz- Khanabad wichtig und der Lerneifer der dortigen Anwohner lobenswert.
Aber ich wollte ja für DADGUL ein Projekt schaffen. ER sollte Projektleiter sein, die Dinge vor Ort selbst regeln. Das sollte SEINE neue Lebensaufgabe werden. SEINE weiche Landung und gesellschaftliche Wiedereingliederung in das wieder aufzubauende Heimatdorf. Im Krieg war er Kommandant gewesen, und das sollte er jetzt auch zu Friedenszeiten sein. Für DADGUL hatte ich das alles gemacht. Und für Kandigol und seine Kinder. Nicht für den Maulawi-Gouverneur.
»Los, Dadgul. Setz dich hin und schreib. Entweder eine Schule in Katachel oder gar keine Schule!« Wie ein Zerberus stand ich hinter ihm und überwachte sein exotisches Geschreibsel. (Keine Ahnung, was er da schrieb, vielleicht, die Alte ist störrisch wie ein Esel, aber das war mir egal!)
Keine drei Wochen später hatte ich Governor Maulawi himself am Telefon! Bei uns in Bergfeld! Tja, da staunt ihr, Kinder!, dachte ich. Mit der einen Hand rührt die Mama im Kartoffel-Brokkoli-Auflauf, mit der anderen telefoniert sie mit einem afghanischen Gouverneur! In dessen
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