Drachenkinder
passiert: Ihr wisst, dass ich euch unendlich liebe!«
»Sybille, Kleines, dir passiert schon nichts!« Tapfer lächelnd hielt Michael mich auf Armeslänge von sich ab. »Schau mir in die Augen. Du WOLLTEST das. Du würdest dich grün und blau ärgern, wenn du deinen Schützling nicht eigenhändig nach Hause bringen könntest. Hm?« Er sah mir prüfend ins Gesicht. »Du musst deine Lebensaufgabe weiterführen. Wer A sagt, muss auch …?«
»Rschloch sagen«, heulte ich in seinen Ärmel hinein.
Schon fühlte ich mich mitsamt den Rucksäcken und Taschen von liebevollen Händen in den Zug geschoben. Rudi, der Adoptivvater von Hagen, der eigentlich Abdul hieß – Abdul, der Junge mit dem zertrümmerten Bein –, weinte auch. Er hatte jetzt richtig Schiss, dass Hagen wieder zu Abdul werden und bei seinem leiblichen Vater in Peshawar bleiben würde.
»Ich bring ihn dir wieder, Rudi, versprochen!« Winkend und weinend lehnte ich mich aus dem Abteilfenster. »Kinder, seid lieb zu Oma und Opa, und tut, was sie sagen!«
»Und du Dadgul, weich meiner Frau nicht von der Seite!«
»Versprochen! Großes Afghanen-Ehrenwort!«
»Tag und Nacht, Dadgul! Du schläfst mit der Kalaschnikow neben ihr auf dem Fußboden!«
»Ja! Hatten wir alles schon besprochen! Mach dir keine Sorgen, Papa!«
Der Zug setzte sich in Bewegung, und ich ließ mich mit meinen beiden afghanischen Jünglingen erschöpft in die Sitze sinken. Dadgul und Abdul. Meine Schützlinge – und gleichzeitig Bodyguards.
Am Frankfurter Flughafen trafen wir eine Gruppe von der HFA , unter anderem auch Khalid Wakili, mein erster afghanischer Bekannter aus Berlin. Er war ein bisschen verschnupft, dass ich von nun an nicht mehr für die HFA arbeiten würde, sondern mich selbstständig gemacht hatte, aber das war mir egal. Es ging ja nicht um meinen oder seinen Geltungsdrang, sondern um Dadgul und die Menschen in seiner Heimat. Auch Ärzte und Pfleger der »Kieler Gruppe« und ein Kamerateam vom WDR waren mit dabei. Auf diesem Flug begleiteten sie eine Gruppe von erfolgreich behandelten Kindern, die sich mit neuen Prothesen und verheilten Narben auf ihre Familien freuten. Auch diesmal würden die Ärzte wieder entscheiden, welche Kinder sie auf dem Rückweg mit zur Behandlung nach Deutschland nehmen würden.
In Islamabad landeten wir bei Morgenröte, und eine Gänsehaut überzog mich. Da war er wieder, der Orient, der mich so unwiderstehlich anzog. Schwarzhaarige und schwarzbärtige Männer in langen weißen Hemden dienten sich uns laut schreiend an, als wir mit unseren schweren Koffern den Ausgang nahmen.
»Dadgul, fass doch mal mit an!«
»Warte, Mama, ich hole einen Kofferwagen!«
»Abdul, was machst du denn da!«
Abdul ging stolz neben einem Gepäckträger her, der seine Sachen bereits auf einen Karren geladen hatte. Ja, sein Dari funktionierte noch einwandfrei!
»Abdul, der will doch Geld!«
»Ach, Scheiße, Frau Schnehage, daran habe ich gar nicht gedacht!«
»Du bist aber auch ein Knallkopp, Abdul!«
»Hat jemand Rupies dabei?«
»Mist! Keiner hat Rupies in kleinen Scheinen!«
»Abdul, wie kannst du denn so blöd sein!«
»Verdammt, Frau Schnehage, ich hatte gedacht, Sie hätten vielleicht …?«
»Ja, bei uns in der Bergfelder Sparkasse haben sie immer Rupies in kleinen Scheinen, du Dussel!«
Streitend erreichten wir den Kleinbus der HFA , und diesmal fiel ich selber rein: Die langbärtigen Typen in ihren weißen langen Hemden und Gebetskappen, die helfend ihre Hände nach unseren schweren Koffern ausstreckten, waren keine HFA -Angestellten, sondern ebenfalls Gepäckträger, die sich etwas verdienen wollten.
»Haha, und wer ist jetzt der Dussel, Frau Schnehage!«
»Hat jemand Rupies?«, wandte ich mich beschämt an die Ärzte. Wenn hier jemand die Pakistan- und Afghanistan-Spezialistin war, dann doch eigentlich ich!
»Na? Wollen Sie sich immer noch selbstständig machen?«, scherzte Khalid Wakili. Ausgerechnet er half mir aus der Patsche.
Endlich saßen wir nassgeschwitzt im klapprigen Gefährt.
Wieder einmal bestaunte ich das märchenhafte Treiben auf der »Autobahn«: Eselskarren, bunt verzierte Lastwagen, Fahrräder, Mopeds, auf denen ganze Familien eng aneinandergeschmiegt saßen – natürlich ohne Helm –, alle möglichen Gefährte schepperten jedes in seinem Tempo grob in eine Richtung. Fußgänger, die riesige Lasten auf dem Kopf trugen oder in einem Handkarren vor sich her schoben, waren auch keine Seltenheit. Ich genoss das
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