Drachenkinder
Bankdirektors Schreibtisch gelegt, als der Lagerraumverwalter hereinkam und auf das Geld glotzte wie ein toter Fisch auf die Petersilienkartoffel. Nicht gut, Sybille!, dachte ich. Gar nicht gut. Mit dem Kerl fährst du gleich weit vor die Tore Peshawars Richtung Islamabad! Das wird ein netter Ausflug!
Und dem war auch so: Der Kerl hatte die Kohle gesehen, ununterbrochen grabschte er mich im Auto an, wollte mir seine Adresse aufdrängen und redete auf mich ein, wofür er und seine Sippe Hilfe von mir wollten. Er knuffte mich in die Seite, dort wo mein Geldgürtel saß.
»He! Finger weg!« Ich schlug seine Hand weg wie ein lästiges Insekt. »Fass mich nicht an, klar?« (Innerlich wimmerte ich nach Micki, aber was nützte mir das jetzt!)
In der Lagerhalle, Scheune, Garage oder was dieses Drecksloch hier war, standen all die Schulmöbel, Rollstühle, Nähmaschinen, Bienenkästen und Fahrräder, die ich in jahrelanger Kleinarbeit mühsam zusammengesammelt hatte. Bis zur Decke stapelten sich metallene Krankenbetten.
Eine Horde von bärtigen Turbanträgern lungerte im Dunkeln darauf herum und hielten Maulaffen feil. (Jetzt weiß ich endlich, woher dieser Ausdruck kommt: aus einer Garage in Pakistan!)
»Okay«, sagte ich zu dem Verwalter, der nicht davon abzubringen war, an mir herumzufummeln. »Bevor wir jetzt zum gemütlichen Teil übergehen: Ich hab’s gesehen. Tschüs und Danke.«
Wie von der Tarantel gestochen rannte ich auf die Straße und hielt ein Taxi an, das gerade vorbeischepperte. (Immerhin wusste dieser Taxifahrer nichts von meinem Geld, insofern war er das kleinere Übel.)
Im Greens -Hotel wartete schon mein Bodyguard Dadgul. Erleichtert fiel ich ihm um den Hals. »Mensch, Dadi, du bist echt der einzige Mensch hier, dem ich noch vertraue!«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Dadgul.
»Du musst ein Transportunternehmen organisieren.« Erschöpft warf ich mich aufs Bett. »Ich gehe heute keinen Schritt mehr vor die Tür!«
Dadgul verschwand, und ich döste auf dem durchgelegenen Bett vor mich hin.
Scheiße, Sybille!, dachte ich. Alles Scheiße.
»Guten Morgen, ihr Lieben, na, wie geht es euch heute?«
Hände reibend bediente ich mich am reichhaltigen Frühstücksbuffet. Na ja, ich angelte mir eine Scheibe labbrigen Toast und gönnte mir ein Tässchen dünnen Tee.
»Martin ist unpässlich: ein Magen-Darm-Virus«, sagte Manfred grinsend, mein Liebling von der »Kieler Gruppe«.
Sie alle hatten ihren privaten Urlaub für diese Reise geopfert und waren voller Idealismus.
»Ich hatte gestern nur Ärger«, erzählte Manfred. »Keines der Kinder, die mir vorgestellt wurden, war schwer verletzt oder lebensbedrohlich erkrankt. Ich habe nur die Söhne von AUA -Mitarbeitern, ihre Neffen und Cousins zu sehen bekommen. Mädchen waren überhaupt nicht dabei.«
Ich verdrehte die Augen. »Zum Kotzen!«, entfuhr es mir.
»Das macht schon Martin«, bemerkte Manfred mitleidig.
»Und? Wie geht’s jetzt weiter?« Nachdenklich trank ich einen Schluck Tee.
»Ich habe versucht, Eigeninitiative zu ergreifen, aber darüber war man schwer beleidigt.«
Ich presste die Lippen zusammen und nickte düster. »Das kommt mir bekannt vor.«
»Wie gesagt: andere Länder, andere Sitten.« Manfred biss gelassen in einen Cracker. »Guck mal, ich glaube, dein Hausfreund ist da.« Manfred wies grinsend zur Tür.
»He, Dadgul!« Beim Anblick meines Schützlings sprang ich erfreut auf. »Was gibt’s Neues?«
»Ich habe einen Lastwagen und einen Helfer. Aber erst geh ich duschen.«
Kurz darauf erschien ein verdächtig nach meinem Shampoo duftender Dadgul und präsentierte mir stolz einen bunt verzierten Laster, in dem schon sein Cousin Khaista Gol saß.
»Moin Moin.« Ich kletterte ins Führerhäuschen und nahm zwischen den beiden Umzugshelfern Platz.
Zentimeterweise quälten wir uns durch den Moloch Peshawar bis zur Lagerhalle mit meinen Hilfsgütern.
Nachdem Dadgul ein paarmal kräftig gehupt hatte, öffnete sich das Tor wie von Zauberhand. Der Verwalter machte eine großzügige Handbewegung: Bitte bedient euch. Alles deutsche Wertarbeit!
»Okay«, sagte ich und spuckte in die Hände. »Die pädagogisch wertvollen Flötotto-Möbel mit den verstellbaren Rückenlehnen aus der Waldorfschule als Erstes.« Na gut, das hatten die nach wie vor hier rumgammelnden Turbanträger nicht verstanden, deshalb zeigte ich auffordernd darauf.
»Kommt Jungs! Hebt mal euren Arsch.«
Nichts tat sich. Niemand rührte sich. Schwarze Augen
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