Drachenkinder
starrten mich an. Jemand zog geräuschvoll Rotz durch die Nase und spuckte aus.
»Ja, wie jetzt? Braucht ihr ’ne schriftliche Einladung?«
Ratlos schaute ich mich nach Dadgul um. »Soweit ich weiß, ist jetzt kein Ramadan?«
»Vergiss es!«, sagte Dadgul. »Beachte sie einfach nicht.«
Scheiße, das durfte doch nicht wahr sein! Die hatten es sich auf meinen Möbeln gemütlich gemacht und halfen nicht? Noch nicht mal der Grabscher von gestern packte mit an. So blieb mir nichts anderes übrig, als gemeinsam mit Dadgul und seinem Cousin die Möbel zu verladen. Achtzig Tische und Stühle wuchteten wir hoch. Dann schafften wir das ganze Zeug in halsbrecherischer Fahrt durch die Innenstadt in einen neuen Lagerraum. Der Cousin hatte seine Schneiderwerkstatt kurzfristig frei geräumt.
Und wer stand bereits wartend vor der Tür? Der Grabscher. Er stupste mich fordernd an und wollte einen der Tische und Stühle privat geschenkt bekommen.
»Ja, sag mal, bist du nicht ganz dicht?«, schnauzte ich ihn an. »Ich glaub, mich streift ein Elch!« Ich ballte die Faust und zeigte ihm meine Muskeln. »Hau ab du!«
Während der schweißtreibenden Arbeit hatte ich mein Kopftuch zum Turban aufgerollt und sah jetzt in meinen Stiefeln und Arbeiterhosen wirklich aus wie ein Mann. Vor lauter Wut wuchs mir wohl gerade ein Bart, denn der Grabscher trollte sich mit eingezogenem Schwanz.
Ich schüttelte den Kopf. Ideen hatten diese afghanischen Männer! Nicht helfen, aber abstauben wollen. Aber drei Wochen bei mir in Bergfeld, und sie würden mir und dem Rest der weiblichen Weltbevölkerung in den Mantel helfen und die Tür aufhalten.
Aus Dadgul war doch auch ein Kavalier und Gentleman geworden, oder etwa nicht?
17
Am Abend lud ich die beiden Beleidigten, Dr. Mirajan und Khalid Wakili, auf einen dünnen Versöhnungstee auf meine Hotelterrasse ein. (Also auf den steinernen Innenhof mit dem zerschlissenen Sonnendach und den drei Plastikstühlen vor dem ausgetrockneten Swimmingpool.)
»Kommt schon Jungs, wir wollen doch weiter zusammenarbeiten!«, sagte ich versöhnlich. »Schaut mal, was wir gemeinsam schon alles erreicht haben.«
Dr. Mirajan, der einen deutschen Pass hatte, gab vor, mich nicht zu verstehen und hielt fragend die Hand ans Ohr.
Na gut. Dann redete ich eben auf Englisch weiter. Auch kein Problem. Freundlich lächelte ich ihn an. Ich zählte auf: »Wir haben schon Sachspenden im Wert von fünfzigtausend Mark gesammelt, komplette Einrichtungen für Schulen, Krankenhäuser und Therapiezentren, über achthundert Rollstühle und Kinderspielzeug. Wir haben über fünfhundert Patenschaften vermittelt, die Witwen und Waisen dauerhaft mit dem Nötigsten versorgen. Ist das etwa nix?« Am liebsten hätte ich den beiden auf die Schulter gehauen, aber ich wollte nicht plump vertraulich werden. »Mensch, Jungs, wir können doch stolz auf uns sein!« Ich sagte absichtlich »wir« und »uns«, obwohl das zum Großteil meine Eigeninitiative gewesen war. »Und jetzt haben wir auch noch eine Schule in Katachel«, fügte ich aufmunternd hinzu. »Und es werden noch viel mehr Schulen dazukommen, wenn wir jetzt zusammenhalten!«
Hallo? Die guckten mich überhaupt nicht an! Irritiert nahm ich einen Schluck Tee.
Ich räusperte mich. »Und jetzt hätte ich noch eine Bitte an euch beide. Dadgul hat keinen gültigen Pass mehr. Im Grunde ist er bereits illegal hier, und ich habe Angst, dass er der Peshawarer Polizei in die Hände fällt …«
»Der braucht keinen Pass«, sagte Mirajan. »Der ist ein Flüchtling.«
»Bitte?«
»Na ja, das sieht doch jeder, so wie der aussieht. Den kontrolliert keiner.«
Khalid kontrollierte sein Handy. Ich war LUFT für sie! Arschlöcher!, dachte ich erbost. Nur weil ich eine Frau bin, oder was! Oder weil ich als Einzelperson mehr erreicht habe als euer Männerverein.
Na, ihr werdet mich noch kennenlernen!
Zwei Tage vor der Abreise tauchte Abdul/Hagen wieder auf. Mitsamt seinem Vater mit Rauschebart und Turban.
»Na, Hagen? Fährste wieder mit?«
»Klar.« Der Junge grinste verlegen. »Danke, dass du meinen Pass aufbewahrt hast!«
»Aber gerne.« Heimlich hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, ihn einfach Dadgul zu geben, falls Hagen nicht wieder auftauchen sollte. Aber gut. Jetzt würde ich für Dadgul auch noch einen besorgen. Ich musste meinen Schützling in Sicherheit wissen. Vorher reiste ich nicht ab.
»Mein Vater will dich zum Essen einladen«, sagte Hagen würdevoll. Er zeigte auf ein Haus in
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