Drachenkinder
sondern grinste nur verlegen.)
Gefühlte hundert Frauen- und Kinderhände betatschten mich, griffen mir ins Gesicht und an meine blonden Haare (die frecherweise unter dem Kopftuch hervorsahen) und auch sonst überallhin, wo man andere eigentlich nicht anfasst. Ich wertete es als herzliche Begrüßung.
»Schau dich um, Mama, schau dich nur in Ruhe um!« Dadgul wehrte die Kinderhände ab und bedeutete seinen Verwandten, mit dem Schreien und Zerren aufzuhören.
»O ja, gerne, wenn ich darf.«
Links vom Hof führte eine schiefe Tür zu einem winzigen dunklen Raum, in den ich vorsichtig hineinspähte. Drei Nähmaschinen mit Handkurbelbetrieb standen auf dem mit einer zerschlissenen Bastmatte ausgelegten Boden. Daneben lag Stoff mit Millitärtarnmuster, und hie und da schauten halb fertige Munitionstaschen unter den Maschinen hervor. In einer Ecke lag ein Stapel bereits fertig genähter Patronengurte. An der Lehmwand war ein Haken befestigt, an dem eine Kalaschnikow hing. Mit anderen Worten: Hier war es urgemütlich, so richtig zum Wohlfühlen. Schöner Wohnen war nix dagegen.
Zwei verrunzelte Männer starrten mich unter ihren Turbanen erwartungsvoll an.
»Lasst euch nicht stören«, stammelte ich, als die Männer mich durchaus freundlich begrüßten.
Im Hinterzimmer dieser Nähstube lag anscheinend der private Bereich: Die Wände waren mit bunten Tüchern verhängt, davor stapelten sich Decken und Kissen, die nachts wohl als Bettstatt dienten. Wie bei uns in der guten Stube das Kruzifix, hing auch hier eine Kalaschnikow an der Wand.
Rechts vom Hof gab es einen besonders dunklen Verschlag, vor dem zerschlissene Vorhänge hingen: Hier schliefen die Großeltern und die Kleinen. Im Freien stand der Herd: eine Lehmbank, in deren Mitte sich eine Öffnung für das Feuer befand, das von getrockneten Kuhfladen gespeist wurde. Ein großer verbeulter Blechtopf stand darauf, in dem ein wässriges Essen vor sich hin köchelte. Hm, lecker. Gleich neben der Küche hatte das Plumpsklo seinen Platz gefunden. Neben dem einfachen Loch im Boden stand eine Plastikkanne mit Wasser.
»Nachdem du dein Geschäft verrichtet hast, reinigst du dich mit der linken Hand«, erklärte mir Dadgul. »Mit der Rechten wird gegessen.«
Nee, ist klar.
»Bei den Schiiten reinigt man sich mit Wasser, uns Sunniten dient zum Abwischen ein Stein oder ein Lehmklumpen«, erläuterte Dadgul die geltenden Hygienevorschriften.
»Interessant«, murmelte ich ergriffen. Von wegen Hakle feucht, siebenlagig, weich.
»Und hier ist noch der Backofen für das Brot.« Stolz öffnete Dadgul die untere Feuerklappe, und sofort stürzte mir ein gackerndes Huhn entgegen, das Dadgul offenbar bei seiner Vormittags-Meditation gestört hatte. »Die brüten halt gern im Warmen.«
»Klar«, murmelte ich. »Wer tut das nicht.«
Im Hof liefen Enten und Hühner geschäftig hin und her, und überall lagen die grünlichen Ergebnisse ihrer Verdauung. Das störte hier anscheinend niemanden.
Die Hausführung war beendet.
»Tee, Mama?«
»Ach, nein danke.« Ich wollte nicht in die Verlegenheit kommen, das Plumpsklo hinter dem zerschlissenen Vorhang aufsuchen zu müssen. Dann hätte ich einige Meter vorher laut hüsteln müssen: Wäre kein Hüsteln zurückgekommen, hätte ich gewusst, dass das stille Örtchen frei ist.
Inzwischen berichtete Dadgul seinen Verwandten mit gewichtiger Miene von seinen Erlebnissen in Deutschland. Und das auch noch auf Pashtu. Aber Dadgul war mir inzwischen so vertraut, dass ich seine Gesten und seine Mimik auch so deuten konnte. Ehrerbietig lauschte ihm der Familienclan.
Dadgul war ein Mann von Welt geworden!
Während der weltmännischen Männergespräche gesellte ich mich zu den vielen Frauen und Kindern im Hof und versuchte herauszufinden, wer zu wem gehörte.
»Na, ihr Lieben? Wie heißt ihr denn?«
Ein sechzehnjähriges bildhübsches Mädchen konnte Dari, sogar ein paar Brocken Englisch, und führte mich herum wie bei Hofe. Ich versuchte, mir die Namen und Verwandtschaftsverhältnisse zu merken, und zu meiner großen Freude posierten die Mädels und Kinder ohne Scheu, nachdem ich meine Leica aus dem Rucksack gekramt hatte.
»Och, wie süß! Darf ich auch mal?« Ich schnappte mir ein klebriges Baby, dessen Augen schwarz geschminkt waren, und lächelte möglichst fotogen in die Kamera, die nun ein Cousin Dadguls fachmännisch bediente. Gerade als ich fand, das exakte Lady-Di-Lächeln hingekriegt zu haben, pinkelte mir das Kleine in freudiger
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