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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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der Nähe des Hotels. »Seine Frauen und die Frauen meiner Onkel haben Palau mit Huhn gekocht.«
    Ich rieb mir den Bauch vor Vorfreude. Nach zwei Wochen trockener Cracker und Tee knurrte er doch unüberhörbar.
    »Das ist doch mal eine nette Geste!« Ich freute mich, zur Abwechslung mal keinen Gegenwind zu spüren. Außer den Frauen im Innenhof war ja niemand nett zu mir gewesen. (Noch nicht mal mein Kavalier und Gentleman Dadgul hatte mich beim Mensch ärgere dich nicht gewinnen lassen.)
    Im Besucherraum des schattigen Hauses ließ ich mich mit den Männern auf einem Teppich nieder. Als einzige Frau im Raum hockte ich zwischen ungefähr zwanzig Turbanträgern.
    »Hallo allerseits!«, grüßte ich artig in die Runde.
    Alle nickten und sahen mich abwartend an. Wie war das noch mal? Die Frau senke den Blick, wenn sie mit einem Mann spricht. Nö. Nicht mit mir. Ich sah also entwaffnend in die Runde. »Mann, was hab ich einen Hunger!«
    Ein paar verschleierte Frauen huschten verschüchtert herein und stellten so unauffällig und geräuschlos wie möglich das Essen auf den Teppich. Wie die Waldfeen wehten sie wieder raus.
    Hm, das roch verführerisch! Endlich was zu essen! Messer und Gabel waren nicht angedacht, und so rieb ich mir voller Appetit die Hände.
    Der alte Hausvorsteher griff zuerst in die Schüssel und stopfte sich eine Portion Reis in den Mund. Leider sprach er dabei, sodass die Hälfte wieder rausfiel. Teils in den Bart, teils zurück in die Schüssel, die er mir jetzt großzügig hinschob.
    »Guten Appetit«, drängte mich Dadgul. »Los, iss! Wir wollen auch noch was!«
    Wahrscheinlich erinnerte er sich in diesem Moment daran, wie ich ihm die Schnabeltasse weggenommen und ihn gezwungen hatte, mit dem Löffel zu essen.
    »Ach, weißt du, Dadgul, wenn ich es recht bedenke, bin ich eigentlich schon satt.«
    Ich reichte die Schüssel an meinen Nebenmann weiter, der ebenfalls mit der ganzen Pranke hineinlangte und die breiige Mahlzeit großflächig in seinem Bart verteilte.
    Hagens Onkel fiel zu allem Überfluss auch noch die Coladose um, und das klebrige Gebräu fraß sich in den kostbaren Teppich. Statt aufzuspringen und schnell ein Zewa-wisch-und-weg zu holen, rieb es der Alte mit dem Zipfel seines Gewandes auch noch in den hellen handgewebten Teppich. Hach! Mein Hausfrauenherz konnte das gar nicht mitansehen. Was hätte ich meinem Micki Beine gemacht! Und meinem Simon auch. Bei uns packten die Männer mit an. Hier würden die Frauen nachher die Riesenschweinerei wegmachen, notfalls einen neuen Teppich knüpfen, während die Männer längst im Bett liegen würden. Oder auf dem Gebetsteppich. Auf einmal packte mich eine unbändige Wut. Hatte das hier alles überhaupt einen Sinn? Würde ich jemals etwas bewirken können? Würden sie jemals lernen, ihre Frauen wertzuschätzen? Stand es mir überhaupt zu, ihr Denken ändern zu wollen?
    »Was glotzt ihr mich alle so an?«, fragte ich gereizt. »Hab ich Lippenstift auf den Zähnen oder was?«
    Trotzig fastend blieb ich den Rest des Abends auf dem Teppich hocken. Immer schön auf dem Teppich bleiben, Sybille!, hörte ich meinen Michael mit feiner Ironie sagen. »Du wolltest es so.« Ich sah ihn förmlich grinsen. Ach, was freute ich mich auf ihn! Auf seine Umarmung, auf seinen liebevollen Blick aus klugen, wachen Augen. Er war offensichtlich der einzige Mensch, der wertschätzte, was ich tat. Mensch, Sybille!, dachte ich. Das hättest du auch einfacher haben können. Micki schätzte mich schon, wenn ich eine kaputte Dachrinne reparierte. Oder einen gedeckten Apfelkuchen buk. Oder das Badezimmer neu flieste. Oder mit den Bienen aus unserer Imkerei fertigwurde. Oder mit Frau Brechenmacher.
    Aber es musste ausgerechnet Afghanistan sein.
    Der ganze Papierkram musste noch vor meiner Abreise erledigt werden. Also schleppte ich Dadgul zum Fotografen und aufs Passamt, wo ich mein letztes Geld ließ. Dort saßen schick uniformierte Sachbearbeiter, die mit wichtiger Miene das erforderliche Papier ausstellten und abstempelten. (Wenn man Glück hatte bzw. mit bakschisch nicht geizte.)
    Als wir aus dem Taxi stiegen, traute ich meinen Augen nicht. Da stand Simons kleines blaugelbes Kinderfahrrad! Es war nicht irgendeines, das so ähnlich aussah, sondern das vom Bergfelder Schrottplatz! Ein kleiner Junge versuchte damit zu fahren. Eigentlich hatte ich ja gehofft, Simons altes Rad würde im Flüchtlingslager landen und die Kinder dort glücklich machen. Doch anscheinend hatte ein

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