Drachenkinder
stinkst!«
»Ja. Vielleicht, weil ich monatelang nicht geduscht habe?!«
Auf der Rückfahrt nach Wolfsburg ließ Daniel sämtliche Fenster herunter. Tja, mein Lieber, dachte ich spöttisch, als ich den erfolgreichen VW -Jungmanager so von der Seite ansah. Nicht jeder hat morgens automatisch das Vergnügen mit Axe, Brut und Egoïste oder wie diese ganzen Aftershaves und Duschgels heißen. In Katachel kannst du zum Wasserschlauch latschen, der drei Kilometer entfernt an einer Straßenkreuzung vor sich hin tröpfelt.
»Sag mal, bist du gesund, Dadgul?« Besorgt drehte ich mich zu dem röchelnden und hustenden Häuflein Elend auf dem Rücksitz um. Ich legte ihm die Hand auf die Stirn. »Mensch, Dadgul, du hast ja Fieber!«
»Bestimmt«, krächzte Dadgul. »Bei uns im Dorf grassiert gerade irgendeine Grippe.«
Er hustete, und Daniel ließ wieder panisch das Fenster herunter.
»Sag mal, Daniel, habt ihr bei VW auch einen Werksarzt?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich.«
»Kannst du den mal anrufen?«
Hektisch schnellte sein Kopf zu mir herum. »Wie? Jetzt?«
»Nein. Nächstes Jahr reicht.« Kopfschüttelnd entriss ich dem kerngesunden Jungmanager, der keine andere Sorge hatte als die, heute Abend mit seiner Freundin essen zu gehen, das Handy und rief den Werksarzt Dr. Florian Wartenberg an.
Dieser erwies sich als äußerst hilfsbereit und spontan. Wir sollten sofort kommen, das höre sich interessant an.
Ich zog die Nase hoch.
»Also, Daniel. Erstes Ziel: Werksarzt.«
Dadgul hatte eine schwere Lungenentzüngung, verbunden mit Unterernährung. Na toll. Die Operation musste verschoben werden, und ich durfte den jungen Herrn erst wieder mit Pudding und Nudeln aufpäppeln.
Simon stand mit vorwurfsvollem Blick in der Tür, den Hörer in der Hand:
»Khalid Wakili will dich sprechen.«
»Wie? Khalid? Von der HFA ?«
»Weiß ich doch nicht!« Die Hände in den Hosentaschen wollte Simon schon wieder die Treppe hinunterstapfen. Dort lief gerade seine Lieblingsserie.
»Halt! Hiergeblieben, Freundchen!« Ich legte die Hand auf die Muschel und flüsterte mit scharfem Unterton: »Du kümmerst dich um unseren – Gast!«
Khalid Wakili, der keine Ahnung hatte, dass Dadgul bei uns im Gästebett lag, teilte mir im Ton einer richtigen Petze mit, dass Dadgul das Geld nicht etwa für eine Schule in Katachel ausgegeben, sondern für eigene Zwecke benutzt habe.
Da war ich aber platt.
Ich musste mich setzen.
»Aber Dadgul hat mir doch gerade im Auto die Fotos von der fertigen Schule gezeigt!«, wollte ich rufen. Stattdessen stotterte ich: »Wie jetzt? Woher weißt du das?«
»Man hat mir erzählt, es gäbe keine Schule, und Dadgul würde in die eigene Tasche wirtschaften«, so Khalid. »Ich bin jetzt auch nicht vor Ort, aber wäre es nicht eine gute Idee, zwei meiner Mitarbeiter nach Katachel zu schicken, damit sie dort nach dem Rechten sehen?«
Hm. Wer war Khalid? Ein eifersüchtiger Zwietrachtsäer oder ein korrekter Berichterstatter? Ich raufte mir die Haare. War es Neid? Konnte er Dadgul und mir unser tolles Projekt nicht gönnen? Ich nagte auf meiner Unterlippe. Oder sollte an diesen hässlichen Anschuldigungen möglicherweise doch etwas dran sein? Dadgul sah so abgerissen und verwahrlost aus, dass es mir wirklich schwerfiel, ihn mir als Projektleiter in Katachel vorzustellen, der die Sache im Griff hatte. War er möglicherweise doch überfallen worden?
Während ich noch darüber nachdachte, wie es wohl für Dadgul wäre, ihm zwei Spione von der Konkurrenz nach Katachel zu schicken, hörte ich Schritte auf der Treppe.
Ah, die zwei Prinzen aus Zamunda gedachten heimlich ins Wohnzimmer zu schleichen und die Fernsehserie zu schauen!
»Sybille? Bist du noch dran?«
Ich räusperte mich. »Khalid, hier will dich jemand sprechen, der dir deine Fragen vielleicht beantworten kann! Ich gebe mal den Hörer weiter!« Mit diesen Worten reichte ich dem verdutzten Dadgul den Hörer, und sofort ergoss sich ein Schwall unverständlicher Wörter und Sätze in Dari aus seinem Munde.
So. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Sollten die beiden das doch miteinander klären.
Als er schließlich aufgelegt hatte, war keine Rede von Misstrauen seitens Khalid. Die beiden hatten nur nett miteinander geplaudert, das Ergehen sämtlicher Verwandter abgefragt (das kann dauern!) und sich gegenseitig alles Liebe und Gute gewünscht. Ein typisches Afghanen-Gespräch. Wie geht es deinem Vater, wie geht es deiner Mutter, wie geht es deinen Söhnen, wie
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