Drachenkinder
tolles Fest im Brauhaus in Fallersleben und lade den ganzen Verein Katachel e . V. dazu ein!«
Das war mal wieder typisch Karin, dass sie ihren Geburtstag in den Dienst des Vereins stellte. »Statt Geschenken möchte ich Spenden für Katachel.«
»Du bist ein Schatz! Welches Projekt möchtest du denn unterstützen?«
»Was gibt’s denn so im Angebot?« Karin zwinkerte mir schelmisch zu. »Die Schule steht, der Brunnen steht – wie wär’s mit einem schicken Modehaus? Oder doch lieber erst ein Hallenbad?«
»Du meinst es ernst, oder?« Ich kramte bereits in meiner Aktentasche und zog Dadguls neueste Post heraus. »Hier, sieh mal! Ein Brief von Governor Maulawi.«
»Wow!« Karin kniff die Augen zusammen. »Der schreibt ja gar nicht mehr an »Mister Michael Schnehage! Der schreibt ja an DICH !«
»Tja«, sagte ich grinsend. »Auch Männer sind lernfähig. Hier, lies mal!«
Gemeinsam steckten wir die Köpfe zusammen und lasen das neueste Ansinnen des Herrn Gouverneurs, der unseren Weiberverein inzwischen ernst zu nehmen schien.
»Dear Misses Schnehage«, stand da zu lesen. »Katachel bedankt sich für die Schule, den Brunnen und alles andere, aber wenn Sie mich fragen, brauchen wir ganz dringend eine neue Brücke über den Gau-Kusch-Fluss. Der Fluss trennt Katachel nämlich nicht nur von der Hauptverkehrsstraße nach Kunduz/Khanabad, sondern auch die Bauern von ihren Feldern. Vor dem Krieg gab es mal eine Brücke, aber die ist eingestürzt. Mit freundlichen Grüßen, Governor Maulawi.«
»Na schau, und ein Bauplan Dadguls liegt auch schon dabei!« Karin zog eine technische Zeichnung hervor. »Hast du dem Bengel aber ’ne Menge beigebracht!« Anerkennend klopfte sie mir auf die Schulter.
»Ach, er hat sich aber auch als sehr lernfähig erwiesen«, winkte ich bescheiden ab. »Also. Sollen wir die Brücke genehmigen?«
Ein tolles Gefühl, übrigens: Wir Frauen entschieden inzwischen über die Anträge des Herrn Gouverneurs, nicht andersherum.
»Wir machen eine Brückenparty!« Karin klatschte begeistert in die Hände. »Im Brauhaus von Fallersleben legen wir den Grundstein für die Brücke von Katachel!«
»Wir können die Filmmusik für Die Brücke von Remagen einspielen«, schlug ich spaßeshalber vor.
»Nee, Die Brücke am Kwai! « Karin pfiff gleich das weltberühmte Motiv. »Oh, das wird eine unvergessliche Party! Mechthild und Annegret können doch Klarinette und Klavier spielen! Das wünsche ich mir!«
Tatsächlich war das eine wundervolle Idee: Über fünfzig Frauen vom Verein Katachel (und deren Begleiter) kamen zur »Brückenparty«, pfiffen unseren Brückensong und spendeten knapp zweitausend Mark. Mir schwoll die Brust vor Freude und Stolz um eine ganze Körbchengröße. Was hatte ich doch für tolle Freundinnen! Keine von ihnen musste sich in Nerz hüllen und einen Porsche fahren, um ihren Status zu demonstrieren. Keine vertrieb sich auf Golfplätzen oder in Wellnesshotels die Zeit! Ihnen allen war bewusst, wie gut wir es hier haben, wie selbstbestimmt wir Frauen leben dürfen, und wie viel Überfluss hier herrscht. Inmitten der Musik und dem fröhlichen Stimmengewirr hielt ich inne, um mir diesen Moment und die Gesichter meiner Freundinnen ganz fest einzuprägen: Karin Hoffmeister, das glückliche Geburtstagskind, Inge Herz, Landtagsabgeordnete und fleißige Förderin unserer Sache, Maria Polt, meine großzügige und hilfsbereite Freundin, und Manuela Ley, die sich sofort als Pflegemutter zur Verfügung gestellt hatte. Eine dunkle Vorahnung überkam mich, als ich sie so betrachtete, und am liebsten hätte ich die Zeit angehalten.
Leider sollten sich meine Vorahnungen von damals bestätigen: Alle vier starben noch innerhalb des nächsten Jahres.
Karin Hoffmeister erlag einem Herzinfarkt, Manuela Ley starb ganz plötzlich durch einen Verkehrsunfall, Maria Polt bekam mit nur achtunddreißig Jahren Unterleibs- und Rückenmarkskrebs, und auch Inge Herz fiel einem gefährlichen Krebs zum Opfer.
Die nächsten Mädchen, die in Katachel geboren wurden, wurden Manuela, Inge, Maria und Karin genannt. Der Verein Katachel e . V. unterstützt sie monatlich. Der Weg zur Schule wurde nach Maria benannt. Auf dem Straßenschild steht ihr unvergessener Name auf Deutsch und Dari.
Durch eine weitere großzügige Spende von achttausend Mark konnte die Brücke von Katachel aus Stahlbeton gebaut werden.
Natürlich lief der Bau nicht ohne Zwischenfälle ab: Cousin Khaista Khan ließ die Baustelle nachts
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