Drachenkinder
Mama! Hinter dem Baustellenzaun!« Vanessa tippte aufgeregt auf meine Schulter.
»Wo?« Panisch fuhr mein Kopf herum.
Oh. Ja. Neben dem blauen Klohäuschen war, mit viel gutem Willen, mitten in einer Pfütze ein Parkplatz auszumachen. Ich klatschte in die Hände. »Köpfe einziehen, ich parke rückwärts ein!«
Dadgul kniff die Augen zusammen. » Inshallah «, murmelte er. Er konnte das gar nicht mit ansehen.
»Da kannst du dich ja auch gleich drin umziehen!«
Toll, was?
Und so kam es, dass Verdienstmedaillengewinnerin Sybille Schnehage in Turnschuhen durch den Baustellenmorast watete, sich im lecker riechenden Baustellenklo in Bluse, Kostüm und Pumps warf und dann im Schweinsgalopp mit Kindern und Kuckuckskind durch die Hannoveraner Innenstadt rannte, um rechtzeitig zur Medaillenvergabe in der Staatskanzlei zu erscheinen.
Außer mir bekamen noch achtzehn andere eine Medaille, und ich reihte mich artig in eine Schlange ein. Genau in dem Moment, in dem ich dran war und der Minister mir mit lobenden Worten das begehrte Stück ansteckte, ging hinten im Saal die Tür auf … und mein Micki schlüpfte herein! Er war extra mit dem Zug aus Stuttgart angereist, nur um bei meiner Ehrung dabei zu sein! Ich warf ihm eine übermütige Kusshand zu, und er wischte sich umständlich mit einem Taschentuch über Brille und Augen.
Und dann kam wieder einmal Dadguls Abschied. Nach weiteren zig Operationen verließ uns Dadgul, um erneut in Katachel seinen Mann zu stehen. Das Telefon klingelte ununterbrochen. Über zweihundert Mitglieder unseres Vereins Katachel e . V. wollten sich noch persönlich von Projektleiter Dadgul verabschieden und ihm alles Gute wünschen.
»Was können wir ihm schenken, Sybille? Wie können wir ihm zum Abschied eine Freude machen?«
»Also, Kinder, wenn ihr mich fragt, dann nichts, was er noch ins Reisegepäck stopfen muss«, stöhnte ich. »Seine Rucksäcke und Taschen haben die Zwanzig-Kilo-Grenze der Pakistan International Airline längst überschritten.« Beim Gedanken an die anfallenden Gebühren für das Übergepäck brach mir der kalte Schweiß aus.
Allein vierzig Fußballtrikots für die Fußballjugend in Katachel, achtzig Rollkragenpullover für die Schulkinder, Skianzüge (nicht dass die Ski fahren wollten, aber da war es im Winter auch eiskalt!), warme Wäsche, Bettzeug, Geschenke für Kandigol und die Kinder, Gardinen, Schulsachen, Haushaltsgeräte … Das »Bein für seinen Freund«, eine Prothese, die dem Armen passen könnte, baumelte mitsamt Krücken auch noch am Rucksack. Als absolutes i-Tüpfchelchen sogar noch eine Großpackung Tampons für Kandigol zwischen Shampoos, Waschlappen und Duschgel gestopft. (Lass das mal bloß den Mullah nicht sehen, Kandigol! Und: nicht ESSEN , okay?) Auch die gesammelten hochhackigen Schuhe und das Schminkzeug vom evangelischen Frauenchor der Gemeinde Pappeln würde sie hoffentlich erfreuen. (Das KONNTE gar nicht so schlimm sein, dass ein Mullah es verbieten würde!) Immer wieder hatte ich mich mit dem ganzen Gepäck auf die Waage im Badezimmer gestellt und ihre Kapazitäten ausgereizt. Wir, das Gepäck und ich, wogen über zweihundert Kilo.
» Rien ne va plus «, hatte Dadgul einsichtig gesagt. (Welcher afghanische Widerstandskämpfer weiß solche Worte locker in eine Unterhaltung einzustreuen?)
»Ja, aber was können wir ihm schenken?«, fragten meine Bergfelder Vereinsmitglieder. »Was würde ihm wirklich eine Freude machen?«
Hm. Ich kratzte mich am Kopf. Führerschein hatte er schon, Schlittschuh fahren konnte er, schwimmen, lesen, schreiben, Projektleiter war er, Spendengelder in sechsstelliger Höhe verwaltete er, neues Gesicht, Zähne, die Nase funktionierte auch wieder … Was schenkte man einem Mann, der schon alles hatte?
»Ein eigenes Haus«, sagte ich mehr so zum Spaß. »Er wohnt nämlich mitsamt Kandigol und den Kindern immer noch im Haus seiner Mutter Nigargh – und das mit drei Schwestern, zwei Onkels und drei Cousins.«
Und da hatte er nicht wirklich das Sagen. Es würde dem Projektleiter sehr schwerfallen, sich wieder seinen älteren Verwandten unterzuordnen. (Es war ihm ja schon schwergefallen, sich MIR unterzuordnen!)
»Na gut, dann kaufen wir ihm ein Haus. Das kann ja in Afghanistan nicht so teuer sein.«
»Wie? Ihr wollt – wirklich …?«
»Ja! Wenn wir alle zusammenlegen …«
»Dadiiiiii!«, quiekte ich durchs ganze Haus. »Dadiiiiii!!! Sie schenken dir ein Eigenheim!«
Dadi quiekte nun auch vor Freude: »Ein
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