Drachenkinder
gehen oder sich in einen Massagesessel setzen können. Aber nicht Sybille Schnehage. Die bummelt nicht, die handelt!
»Dadgul, du bleibst hier stehen.«
»Ja, Mama.« (Ächz, stöhn, leidender Blick.)
Ich selbst begab mich forsch hinter eine Tür, auf der »Zutritt nur für Mitarbeiter« stand, kämpfte mich durch lange antiseptisch riechende Flure (Toilette, nur für Mitarbeiter), fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock und kam schließlich in ein Büro, in dem ein Mister Safir beim Morgentee saß.
»Hallo erst mal, ich weiß nicht, ob Sie es schon wissen, aber ich bin Sybille Schnehage, und mein Schützling Dadgul fliegt gleich nach Islamabad und hat ein BISSCHEN Übergepäck«, flötete ich in meiner allersüßesten Tonart.
Mister Safir tunkte grunzend einen Zwieback in den Tee.
»Ich war schon mal in Pakistan«, schwärmte ich. »Und die Pakistani sind ja soooo nett!«
»Wie viel!?«
»Wie bitte?«
»Übergepäck?!«
»Oh, so … ähm …« Ich sah mich hastig um, aber wir waren allein.
»Hundertfünfundsiebzig Kilo …« Ein verunsichertes Lachen entfuhr mir, und entsetzt stellte ich fest, dass mein Adrenalinspiegel alarmierend anstieg. »Übergepäck. Für einen guten Zweck.«
»Das geht ja gaaaaar nicht«, sagte Mister Safir. Seine kleinen Äuglein musterten mich strafend.
»Wie gesagt, es ist für einen guten Zweck.«
»Das sagen alle.« Mister Safir strich sich über seinen grauen Spitzbart.
»Katachel? Kennen Sie Katachel?«
»Nein. Aber ich kenne die Gepäckvorschriften der Pakistan International Airlines .«
»Nun.« Beiläufig zog ich den Brustbeutel mit dem Bestechungsgeld aus der Bluse, und Mister Safirs Augen weiteten sich. »Was könnten wir denn da machen?«
Mister Safir verdrehte die Augen. Wahrscheinlich hielt er eine Blitzkonferenz mit Allah und Mohammed ab, oder wer von ihnen gerade Dienst hatte.
»Was schlagen Sie vor?«
»Tja, ich …« Mit vor Angstschweiß feuchten Händen blätterte ich ihm hundert Mark hin.«
»Das wäre alles, was ich habe …«
(Du sollst nicht lügen, Sybille! Das steht in der Bibel! Wer weiß, was im Koran steht! Zunge ab?!)
Herr Safir guckte streng.
»Na gut, ich hätte da noch …« Mit halbwegs überzeugender Geste kramte ich aus der hinteren Jeanstasche mein Portemonnaie hervor. »Aus privaten Beständen …« Ich zückte einen Zwanziger und kippte all mein Kleingeld auf Mister Safirs Schreibtisch. »Achtundzwanzig Mark und sechzehn Pfennige.« Ich lächelte und schnupperte unauffällig an meiner Achselhöhle. Mein Deodorant hatte nicht versagt.
Mister Safir verzog keine Mine. Er griff zum Telefon, sprach viele unverständliche pakistanische Laute hinein und winkte mich hinaus.
»Geht das so – in Ordnung?«
Mister Safir fuchtelte noch ungeduldiger mit der Hand: Husch husch, das Weib möge verschwinden!
Als ich wieder am Schalter erschien, war Dadgul weg. Herr Schmidt bewachte so lange das Gepäck.
»Dadgul ist mal – für kleine Afghanen.«
»Hahaha«, sagte ich, »hoffentlich bricht er sich dabei keine weiteren wichtigen Körperteile!« Inzwischen konnte er die Damen- von der Herrentoilette unterscheiden.
»Wollen Sie nicht auch mal einen Kaffee trinken gehen?« Herr Schmidt zeigte auf ein nahe gelegenes Flughafenrestaurant. »Ich mach das hier schon. Wenn der Schalter aufmacht, winke ich Ihnen.«
»Oh. Das wäre – nett.« Mein Kaffeedurst war fast größer als meine Nächstenliebe.
Müde und verschwitzt wankte ich ins Flughafenrestaurant und ergatterte einen Platz am Tisch einer älteren Dame.
»Die Maschine Flug 716 nach Islamabad ist nun zum Einsteigen bereit! Bitte begeben Sie sich unverzüglich zu Gate 54, und halten Sie Ihre Bordkarten bereit …«
»Ich … ähm … Schönen Tag noch …«
»Aber Sie haben doch noch gar nicht …«
Die alte Dame zeigte auf den noch unangetasteten Kaffee vor mir.
»Trinken Sie ihn für mich, ja?«
Eilig zückte ich meinen Brustbeutel, aber als die alte Dame sah, dass nur große Scheine darin waren, winkte sie ab: »Das übernehme ich. Guten Flug! Und passen Sie auf sich auf!«
Dadgul hatte inzwischen mit anderen afghanischen Passagieren am Schalter geplaudert.
»Wir müssen!«
Vorsichtig schob ich ihn durch die Sicherheitskontrolle.
»Und Sie? Junge Frau, wo ist Ihre Bordkarte?«
»Danke für das ›junge‹«, zwitscherte ich geschmeichelt. »Ich hab keine Bordkarte, aber mein … ähm … Dieser Passagier ist verletzt, und ich muss mich um sein Handgepäck kümmern
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