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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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…«
    Tatsächlich ließen die Verdutzten mich durch. Wahrscheinlich stand mir schon »Diskutieren zwecklos!« auf die Stirn geschrieben. Bis zur Eingangstür des Flugzeugs ließ man mich anstandslos mitlaufen. Während Dadgul erfreut mit seinen Landsmännern plauderte und ich sein überdimensionales Handgepäck schleppte, dachte ich: Ein Kapitel geht zu Ende. Vielleicht ein ganzes Buch. Was ich damals noch nicht ahnte, war, dass es nur der erste Teil sein sollte. Ja, dass Dadgul mir eines Tages in den Rücken fallen, ja mir sogar nach dem Leben trachten sollte.
    »Ähem, Verzeihung?«
    Ein livrierter Steward verwehrte mir den Weg. »Bordkarte bitte?«
    »Ich habe keine. Ich fliege nicht mit.«
    Da staunte der Pakistani aber. »Und wie sind Sie bis hierher gekommen?«
    »Eiserner Wille«, sagte ich.
    »Ja, wenn ich Sie jetzt bitten dürfte, die Maschine zu verlassen?«
    »Klar. Klar doch.« Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Keine Sorge. Ich möchte Sie nur bitten, dem jungen Herrn hier in Pakistan beim Aussteigen behilflich zu sein …« Ich drückte dem Steward das gesamte Handgepäck in die Hand und senkte geheimnisvoll die Stimme. »Er ist verletzt, wissen Sie.«
    Dadgul machte eine Gesprächspause mit seinen Landsleute und drehte sich zu mir um. »Tschüs, Mama!«
    »Eine Kriegsverletzung?«, fragte der Steward verständnisvoll.
    »Fußball«, sagte ich und nickte bedeutungsschwer. »Ein Treffer von der feindlichen Mannschaft. Nachts. Aus dem Hinterhalt. Mitten in die Rippen.«

ZWEITER TEIL
    1996 – heute

23
    Zwei Jahre später. Inzwischen kontrollierten die Taliban Afghanistan.
    Doch nichts konnte mich aufhalten. Ich wollte nach Katachel. Ich wollte zu Dadgul. Ich wollte sehen, was aus unserem Projekt geworden war. Ich hatte weiter Spenden gesammelt und unermüdlich Geld nach Katachel geschickt. Die Leute erklärten mich für verrückt, aber das war mir egal. Sie nannten mich Helferhyäne. Das prallte an mir ab. Katachel war mein Leben. Und ich drückte mich nicht. Ich war nicht feige. Diesen Weg hatte ich gewählt, und den ging ich jetzt. Mit allen Konsequenzen.
    Am Vortag war eine Maschine der Fluggesellschaft Ariana bei Kabul abgestürzt, und Dadgul rief an, um mich zu warnen: »Flieg nicht!«
    Aber Micki sah die Sache gelassen: »Du bist doch Physikerin, Sybille. Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie wird deine Maschine nicht abstürzen.«
    Kaum zu glauben. Aber Micki kannte mich so gut, liebte mich so sehr, dass er mir riet zu fliegen.
    Und ich flog.
    Mit der sehr schicken Airline »Emirates« zuerst nach Dubai, wo ich die Nacht in Gesellschaft von fünfundsiebzig ausgewiesenen Afghanen auf dem Fußboden verbrachte. Schon witzig: Die deutschen Touristen waren in die feinen Hotels abgeschwirrt, Golf spielen, baden, relaxen, shoppen. Ich nicht. Mein Leben verlief anders. Die Asylbewerber waren wieder auf dem Weg ins Elend. Politische Flüchtlinge, die in Europa niemand haben wollte. Zum Teil hatten sie acht Jahre lang in Asylbewerberheimen zu viert in einem Zimmer gehaust. Gehofft, dass ihr Antrag genehmigt würde. Nein. Stempel. Abgelehnt. In ihren Augen stand nichts als Hoffnungslosigkeit. Wir hockten auf unserem Gepäck und versuchten zu schlafen. Die Afghanen starrten mich befremdet an: »Was will die blonde Mutti hier? Hat die ihre Touristengruppe verpasst?« Ich versuchte, mich mit ihnen auf Dari zu unterhalten, schließlich hatte ich in den letzten zwei Jahren fleißig mit einer Privatlehrerin geübt: Ich gehöre zu euch! Ich will helfen! Dass ich einen Gürtel mit fünfzigtausend Dollar um den Bauch trug, erwähnte ich lieber nicht.
    Am nächsten Morgen stiegen wir alle in die kleine Maschine der Ariana . Riesengepäckstücke, die man nur zu zweit heben konnte, wurden in der Maschine verstaut. Das Flugpersonal wies mir die erste Reihe zu. Allein. Damit ich nicht bei den Männern sitzen musste.
    »Danke«, sagte ich. » Tashakor .« Es gab einen eingeschweißten Keks und ein Päckchen Saft auf einem Plastiktablett mit Spitzendeckchen. Wie rührend. Ich war ein First-Class-Passagier. Weil ich blond war und eine Frau.
    Hinten stapelten sich die Menschen übereinander, es passte keine Briefmarke mehr rein. Über Lautsprecher wurde ein Gebet gesprochen. Das ist auch angebracht!, dachte ich, während ich mich an meinen Anschnallgurt klammerte. Seit die Maschinen der Ariana nicht mehr zur Wartung nach Neu-Delhi gebracht werden durften, half nur noch beten.
    Der Flieger

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