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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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abholt!«
    »Wohin fahren wir?«, fragte ich stattdessen. Einen Teufel würde ich tun!
    »Nach Mikrojan. Sie können heute Nacht noch bei Mirzad, einem angesehenen Lehrer schlafen.«
    Aha, wie nett. Ich freute mich schon auf ein Schäferstündchen mit seinen Frauen.
    Auch wenn die Versuchung noch so groß war, dieses Chaos für eine Weile hinter mir zu lassen, auch wenn ich noch so große Sehnsucht nach Micki und den Kindern hatte, und auch wenn übermorgen unsere Silberhochzeit war: Solange Dadgul im Gefängnis saß, konnte ich hier nicht weg. Das wäre Verrat, ja gleichbedeutend mit Mord gewesen. Ich konnte meinen Dadgul schließlich nicht jahrelang körperlich und seelisch aufbauen, damit er seinem Dorf half, um ihn dann diesen Barbaren zu überlassen. Dann würde Katachel ein zweites Mal untergehen. Ich atmete tief durch. Was ich angefangen hatte, würde ich auch zu Ende bringen. So kannte und liebte Micki mich. Und er würde es verstehen.
    Ich nahm das Satellitentelefon entgegen und rief tatsächlich zu Hause an. Nachdem ich die Umstände erklärt hatte, sagte ich: »Micki, ich KANN nicht zur Silberhochzeit nach Hause kommen.«
    »Sybille, ich preise mich glücklich, eine so loyale und starke Frau zu haben! Kämpfe, gib nicht auf und hol Dadgul da raus.«
    Ja, auch das war Liebe! Nach dem Telefonat fühlte ich mich schon viel besser. Ich würde nicht klein beigeben.
    Über Mirzad, den Lehrer, schickte ich Dadgul Briefe ins Gefängnis: »Ich bin in der Nähe! Lasse dich nicht im Stich!«
    Und Mirzad brachte mir einen bekrakelten Zettel zurück: »Mama, ich liebe dich!«
    Währenddessen kämpfte ich weiter um mein Auto, (ehrlich gesagt fuhr ich die ganze Woche kreuz und quer durch Kabul, von Pontius zu Pilatus und wieder zurück), bis nach einer Woche schließlich ein alter, klappriger Pick-up vor Mirzads Tür stand. Als »Ersatzauto«. Damit die Alte endlich Ruhe gab.
    Am selben Tag bekam ich von Mirzad auch den erlösenden Zettel von Dadgul zugesteckt: »Mama, ich bin raus! Ich bin schon auf dem Weg nach Katachel!«
    Endlich konnte ich nach Hause fliegen.
    Micki hatte mir einen Platz in einer deutschen Militärmaschine organisiert. Mirzads Sohn, ein vierzehnjähriger Junge, begleitete mich zur Militärbasis, wo ich eine letzte Nacht im NATO -Zelt auf dem Feldbett verbringen durfte. Als ich mich gerade in meinem Schlafsack verbarrikadiert hatte, klopfte jemand an mein Zelt:
    »Die Ärzte machen eine Abschiedsparty. Wollen Sie nicht auch kommen?«
    Och, ja. Nach all den Turbulenzen inklusive Erdbeben, mehrfacher Salang-Tunneldurchwanderung, Entführung und anderen Abenteuern war mir jetzt tatsächlich nach einem Bier. Kaum hatte ich die Flasche an den Mund gesetzt, forderte mich auch schon ein nett aussehnender Bundeswehrarzt zum Tanz auf. Wenn schon nicht Silberhochzeit, dachte ich, dann wenigstens ein schmucker Offizier! Der junge Arzt schwenkte mich beherzt zu Wiener Walzer durchs Sanitäterzelt. Es war übrigens der einzige Tanz in meinem Leben, bei dem mir im Dreivierteltakt eine Pistole gegen die Hüfte drückte.
    Dieser Walzer war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. In den nächsten Jahren durfte ich immer mit der Bundeswehr über Temez in Usbekistan nach Kunduz fliegen. Dort war ich mittlerweile als » Ade « oder » Madari Kunduz « – Mutter von Kunduz – bekannt. Vielleicht war ich so eine Art Mutter Teresa für die Leute, auch wenn Mutter Teresa die Kirche im Rücken hatte und ich – niemanden. Ich war allein auf weiter Flur. Mich fing niemand auf, mich pries niemand selig, mich sprach niemand heilig. Außer Micki natürlich. Und Vanessa.
    Dieses militärische Zwischenlager in Temez war mein Müttergenesungswerk: Auf dem harten Feldbett im meist leeren Zelt der Soldatinnen hatte ich meine Ruhe, konnte auftanken zwischen afghanischer Lebensgefahr und deutscher Hektik. Mich auf das eine oder das andere innerlich vorbereiten. In dieser Zwischenstation zwischen meinen zwei Welten befand ich mich in einer Art Schwebezustand. Ein bisschen ungewöhnlich, aber gar nicht mal schlecht.

27
    Die Jahre vergingen. Die Kinder wurden größer und brauchten mich nicht mehr so dringend. Zweimal im Jahr flog ich nach Kunduz, um dann die letzten zwanzig Kilometer mit dem Auto nach Katachel weiterzufahren. Oder aber ich flog nach Kabul und gönnte mir die gute Luft im Salang-Tunnel. Je nach politischer Lage. Ich ließ mich nie beirren. Katachel war mein Leben. Nichts und niemand konnte mich davon abhalten,

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