Drachenkinder
einzutreffen. Zu allem Überfluss war Ramadan: Der junge Ehemann erwartete also um Punkt sechs, bei Sonnenuntergang, ein reichhaltiges Mahl – ausgehungert, wie er war, nach stundenlangem Steineschleppen ohne etwas zu essen und zu trinken!
»Schaffst du’s jetzt allein, Rahima?« Ich half ihr und den Kindern aus dem Auto in den Hof. »Es ist nicht gut, wenn Junus mich hier sieht. Morgen komme ich wieder und kümmere mich um euch!«
Rahima sah mich mit Tränen in den Augen an. »Danke, Mama! Ich liebe dich!«
»Ich dich auch, meine Kleine!« Sanft zog ich sie an mich: »Du schaffst das. Lass dich nicht unterkriegen!«
»Du, Mama?« Rahima sah mich mit einem Blick aus ihren schwarz umrandeten Augen an, den ich nie vergessen werde. »Was ist eigentlich aus Jonas geworden?«
»Jonas?« Ich tat so, als müsste ich erst überlegen. »Der Pastorensohn?«
»Ja?«
»Ach, der macht, glaube ich, in irgendeinem Altersheim Zivildienst …«
Ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als ihr zu verraten, dass ihr geliebter Jonas inzwischen mit einer Musikstudentin aus Oldenburg zusammengezogen war und Medizin studierte.
31
»Du magst den Bürgermeister von Eshantup, was, Mama?«
»Ja, Dadgul. Ich finde, er ist der netteste Bürgermeister von ganz Afghanistan. Auf diese Schuleinweihung freue ich mich ganz besonders.«
Im Gegensatz zu vielen anderen Afghanen, die unsere Arbeit inzwischen als selbstverständlich hinnahmen und sich gar nicht mehr bedankten, sondern bloß immer neue Forderungen stellten, war dieser Malek (Bürgermeister) wirklich ein feiner Kerl. Das hatte ich Dadgul auch schon öfter gesagt.
»Wenn wir beide mal Streit haben, dann wird ER mein bester Freund«, sagte ich zu Dadgul. »Also sei immer nett zu mir!«
»Oh, Mama, da werde ich ja richtig eifersüchtig!«
Wir radelten gerade nach Eshantup. Dadgul klingelte und tat so, als wollte er mich in den Straßengraben drängen. Ich klingelte ebenfalls und stieg in die Pedale, um Dadgul abzuhängen. So eierten wir die staubige Straße entlang. »Vorsicht! Ein Riesenschlagloch!«
»Ups! Dadgul, pass auf! Nicht auf dein neues Gesicht fallen!«
Ja, nach mittlerweile vierzehn Jahren gingen wir sehr kumpelhaft miteinander um. Das Projekt hatte uns zusammengeschweißt, und kleine Reibereien konnten wir mit dem lockeren Umgangston am besten überspielen.
Aus den klapprigen Autos, die uns überholten, wurde ich angestarrt. Eine Frau, die Rad fuhr! Und auch noch mit ihrem Begleiter scherzte!
Der kleine rundliche Bürgermeister mit dem schelmischen Blick erwartete uns schon in »seiner« neuen Schule, die jetzt eingeweiht werden sollte. Er war stolz wie Oskar, sein Ansehen war um einiges gestiegen. Das ganze Dorf war auf den Beinen.
» Mokhteram Khanom Sabila Sheni Hagei – hochverehrte Frau Sybille Schnehage …«, begann er seine Rede auf dem Schulplatz. »Wir verdanken dir – und natürlich Dadgul – unsere neue Schule. Und weil du mit einem klapprigen Drahtesel zu uns gereist bist, haben wir eine Überraschung für dich …«
Augenzwinkernd führte er eine herrliche Stute am Halfter herbei.
»Sie gehört – nur DIR !«
Fast wäre ich dem reizenden Malek um den Hals gefallen. Ein Pferd!
»Dadgul!« Ich klatschte in die Hände und hüpfte wie ein junges Mädchen auf und ab.
In Dadguls Augen glomm etwas, das ich noch nie an ihm wahrgenommen hatte. War er tatsächlich eifersüchtig? Neidisch auf das Pferd? Ach was, scheiß auf die Konventionen! Ich warf dem Bürgermeister Kusshände zu.
»Danke, Malek! Ein Pferd – ich habe mir schon immer ein eigenes Pferd gewünscht!«
Dadgul schüttelte tadelnd den Kopf. Schämte er sich etwa für mich? Das mit dem Radfahren war schon Provokation genug gewesen, aber jetzt auch noch den Bürgermeister küssen? Schnell schmiegte ich mich an den Hals der jungen Stute. Die Leute auf dem Schulplatz lachten und freuten sich.
»Ich werde sie Shari nennen!«
»So wie das Pferd, das bei dir in Bergfeld auf der Nachbarwiese steht?«
»Oh, Dadgul, dass du dich daran noch erinnern kannst!«
»Ja, meinst du, ich bin plemplem, oder was?« Dadgul sah mich so – humorlos an! Was hatte er nur?
Obwohl ich seit achtundzwanzig Jahren nicht mehr geritten war, versuchte ich es sofort. Unter lautem Beifall schwang ich mich auf Shari, die nervös tänzelte und sich ein bisschen zickig anstellte, aber ich schaffte es, sie zu bezwingen und drehte ein paar Runden mit ihr.
»Bravo«, rief der Bürgermeister begeistert, und die
Weitere Kostenlose Bücher