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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ich sitze nicht mehr auf. Du bist erschöpft, nicht wahr? Wir gehen einfach nach Hause.«
    Der warme Atem des Pferdes dampfte neben meinem Gesicht. Das eintönige Klappern der Hufe war das einzige nächtliche Geräusch. Die warme Sommernacht hüllte uns ein, und fahles Mondlicht blitzte hinter wattigen Wolkenfetzen hervor. Wieder erfasste mich dieses Glücksgefühl, verbunden mit heftigem Heimweh. Zu Hause rochen Pferde genauso! Wie konnten Menschen nur so unterschiedlich sein, wenn Pferde überall gleich rochen! Gleichzeitig ließ ich mir die Ereignisse des Tages noch einmal durch den Kopf gehen. Wie wunderbar alles lief! Was wir mit deutschen Spenden alles bewirken konnten! Und wie herzlich die Afghanen mich in ihrer Mitte aufgenommen hatten! Irgendwas musste ich anscheinend richtig gemacht haben. »Ehrwürdige Mutter Sybille«: Das klang wie eine Liebeserklärung. Ich hatte meine Lebensaufgabe gefunden. Immer wieder dankte ich Gott dafür, dass mein Micki so hinter mir stand. Dass Vanessa, die inzwischen eine selbstbewusste junge Frau war, mich so unterstützte. Dass sie stolz auf mich waren. Nur Simon hatte nach wie vor Schwierigkeiten mit meinem »Afghanistan-Fimmel«, aber ich hoffte inständig, dass er irgendwann einmal begreifen würde, dass ich einfach nicht anders konnte. Es gab so viele Möglichkeiten zu helfen. Wie konnten Menschen nur über Einsamkeit, Langeweile und null Sinn im Leben klagen? Um dann irgendwelche Stimmungsaufheller zu nehmen, statt dem Elend der Welt die Stirn zu bieten! DAS machte Sinn! DAS machte glücklich.
    »Es bleibt einem im Leben nur das, was man verschenkt hat«, lautete ausgerechnet der Werbeslogan eines Parfumherstellers. Und ich fand, er hatte vollkommen recht! (Es ging allerdings auch ohne Parfum.)
    Erst vorgestern hatte ich für Bahar, eine ausgemergelte junge Frau aus dem Nachbardorf Nassery, die gerade ein Töchterchen bekommen hatte, eine fette, trächtige Milchkuh erworben. Auf dem Viehmarkt in Kunduz hatte ich gefeilscht und gehandelt wie ein Profi – mit Turban, Pluderhosen und ziemlich anständigem Dari. Dass ich während der Verhandlungen nicht mit Kautabak um mich gespuckt hatte, war auch schon alles. (Irgendwo war ich ja doch eine Dame!) Stolz hatte ich die Kuh nach Nassery geführt, wo mich eine überglückliche Bahar erwartete. Sie war so ausgehungert, dass sie nicht stillen konnte. Ihr Mann und seine Familie straften sie mit Verachtung, weil sie nur ein Mädchen geboren hatte. Ich hatte sie und ihr kleines Mädchen gerettet.
    Diese und unzählige andere Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich mit meiner Stute die leere Straße entlangwanderte. Helfen zu können ist die größte Erfüllung im Leben. Aber war das, was ich tat, nicht der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein? Das jedenfalls behaupteten so einige meiner deutschen Mitbürger, die meine Arbeit belächelten. Aber wenn alle so denken würden, würde sich nie etwas ändern in Afghanistan: Steter Tropfen höhlt den Stein.
    Nach einstündigem Fußmarsch erreichte ich schließlich unser Haus. Schnell versorgte ich die Stute, rieb ihr das schweißnasse Fell trocken, gab ihr Wasser und kroch dann ins Bett. Merkwürdig nur, dass Dadgul so verschnupft zu sein schien. Nun, wir hatten alle mal unsere Tage.
    Am nächsten Nachmittag kam der liebe Bürgermeister von Eshantup zum Tee. Anscheinend wollte er den gestrigen großen Tag noch in Ruhe bei Dadgul und mir ausklingen lassen. Wie schon so oft, ließ er sich in unserem Hof in einer schattigen Ecke nieder, streckte genüsslich die Beine aus und blinzelte in die Sonne.
    »Schön habt ihr es hier, hochverehrte Ade Sheni Hagei !«
    »Ja, wir haben es gut getroffen, nicht wahr, Dadgul?«
    Dadgul tat, als hätte er nichts gehört.
    »Ich möchte mich noch einmal sehr für die Schule bedanken, hochverehrte Ade Schnehage. Du hast mich zu einem glücklichen Mann gemacht.«
    »Und ich bedanke mich für das Pferd! Du hast mich zu einer glücklichen Frau gemacht!«
    Wir lachten und prosteten uns mit Tee zu. Gern hätte ich ihm Zucker angeboten, doch den gab es mal wieder nicht. Zucker war einfach zu teuer fürs tägliche Teetrinken. (Und meinen Süßstoff versteckte ich lieber. Schon wegen Kandigol, die alles an sich riss.)
    »Sogar einen Ventilator habt ihr«, stellte der Malek bewundernd fest. »Und was für ein schönes Küchenregal!«
    Mit meinem mir zur Verfügung stehenden Dari-Wortschatz versuchte ich, nett Konversation zu machen. »Unsere

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