Drachenkinder
Daian plötzlich ein neues Männerzimmer leisten? Und Strom?«
Wir waren zu Besuch in Mapali, einem Dorf nahe Khanabad. Daian, der sich selbst »Richter« nannte, war in der Talibanzeit ein wichtiger Kommandant gewesen und hatte immer noch viel Einfluss. Es war durchaus von Vorteil, ihn zu kennen, denn unter seinem Schutz konnte man sich relativ frei bewegen.
»Weiß ich doch nicht.« Dadgul trat einen Stein vor sich her und tat so, als ginge ihn das gar nichts an.
»Wir haben hier in seinem Dorf zahlreiche Straßen befestigt und Brücken gebaut«, sagte ich und sah ihn forschend an. »Aber seine Privatgemächer und seinen Stromanschluss zahlen wir nicht von unseren Spendengeldern!«
»Wie kommst du denn auf die Idee?«
Ich versuchte in Dadguls Augen zu lesen, aber die Sonne blendete mich. Log er mich etwa an? Benutzte er Spendengelder, um sich die Freundschaft eines mächtigen Mannes zu erkaufen und dadurch noch mehr Macht und Einfluss zu gewinnen? Mein Misstrauen ihm gegenüber wuchs immer mehr. Das war doch nicht mehr mein Dadgul, mein Dadi, mein drittes Kind, das ich gehegt und gepflegt hatte? (Und zwar oft mehr als meine eigenen, dachte ich selbstkritisch. Weil er ein so traumatisiertes Kriegsopfer war.)
Dadgul wechselte schnell das Thema: »Ich habe heute die Post aus Kunduz geholt. Du sollst in der Universität von Kabul die Malalai-Ehrenmedaille bekommen!«
»Was?« Überrascht blieb ich stehen. »Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Weil du in letzter Zeit nur noch an mir rummotzt!«, erwiderte Dadgul beleidigt. »Und ich weiß auch, dass sie dir den Ehrendoktor der Pädagogischen Hochschule verleihen wollen. Heute kam die schriftliche Bestätigung.«
Der Ehrendoktor der Universtität Kabul! Mein Herz machte einen Freudensprung. Die Afghanen wussten mich also sehr wohl zu schätzen! Sie forderten nicht alle nur noch mehr! Nein, sie bedankten sich mit dem Ehrendoktortitel! Es war wie ein Etappenziel, das ein Sportler erreicht, um kurz innezuhalten, sich zu erfrischen und zu schauen, welche Etappe er als Nächstes in Angriff nimmt.
Yes!
Eine unbändige Freude machte sich in mir breit, gleichzeitig war ich enttäuscht, dass Dadgul mir so etwas Wichtiges so lange vorenthalten hatte.
»Du weißt, wie sehr ich mich darüber gefreut hätte, wenn ich das vorher gewusst hätte!«
»Jetzt weißt du’s ja!« Dadgul schlenderte davon.
»Aber nicht wieder meinen Namen falsch schreiben!«, schrie ich hinter ihm her.
Wer dann im festlichen Rahmen die Malalai-Ehrenmedaille und den Ehrendoktor der Universität von Kabul überreicht bekam, war wie gehabt ein gewisser »Sheni Hagei.« So nannten mich die Leute hier, und jetzt hatte ich es sogar schriftlich. Mann, wenigstens dass man meinen Namen richtig schrieb, hätte Dadgul doch für mich regeln können! Ich warf ihm, der stolz in der ersten Reihe saß, einen strafenden Blick zu. Aber er strahlte nur. Jetzt war ich wieder SEINE Mama. Er hatte mich schließlich in sein Land gebracht. Afghanistan verdankte mich IHM . Wahrscheinlich dachte er, der Doktortitel gebührte ihm. Na egal, heute wollte ich keine negativen Energien an mich heranlassen, sondern nur genießen. Mein Blick schweifte über die Zuschauerreihen. Ganz Katachel war gekommen. Ganz Katachel? Nein. Eine einzige Person hatte sich gesträubt: Kandigol, Dadguls Gattin. Sie hatte Wichtigeres vor, als meiner Ehrung beizuwohnen: Sie musste auf eine Hochzeit, ihr neues Kleid und ihren neuesten Schmuck vorführen. Und war auch noch beleidigt, dass die Hochzeitsgesellschaft den Schulbus nicht nutzen durfte.
33
»Toooooor!«
»Ha! Das wird knapp für euch Katacheler!« Wolfgang Grebenstein, ein Soldat, der aus der Nähe meines Heimatorts kam, grinste mich spitzbübisch an. Wir saßen nebeneinander auf einer Bierbank, die die Bundeswehrsoldaten mitgebracht hatten, und passten auf, dass Reis und Hühnchen nicht anbrannten.
»Mensch, Abdullah«, brüllte ich. »Renn doch! Der Achmed steht frei!«
»Letzte Woche habt ihr gewonnen, diesmal gewinnen wir … Ja, Mensch, Andreas, was soll denn das sein? Aaaaahhh, verschossen. Das war aber knapp!«
Ich stupste Wolfgang in die Seite. »Du bist ja ganz schön ehrgeizig.«
»Ja, du etwa nicht, Sybille?« Wolfgang musterte mich mit liebevollem Spott. »Ich habe noch nie eine so ehrgeizige Person kennengelernt wie dich! – Mensch Assad, hast du Tomaten auf den Augen? Hamidullah steht doch im Abseits!«
»Zu wem hältst du jetzt eigentlich?«
»Na, zu beiden
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