Drachenkinder
ist deine Rache für den Deutschunterricht damals, ich habe schon kapiert!« Ich wollte an unserer kumpelhaften Freundschaft festhalten, trotzdem spürte ich unterschwellig, wie sie mir aus den Fingern glitt.
»Dann sprich mir noch mal nach …« Dadgul ratterte den unaussprechlichen Satz noch ein paarmal herunter, und wieder nahm ich an seinem Tonfall, an seiner abweisenden Körperhaltung diese unangenehmen Schwingungen wahr, die sich in letzter Zeit zwischen uns ausbreiteten. Schon seit einem Jahr war es einfach nicht mehr so wie früher. Was hatte ich nur falsch gemacht? Was hatte ich ihm getan?
Ich spähte aus dem Fenster. Plötzlich wurde mir ganz warm ums Herz.
»Oh, schau mal, da geht Wolfgang!«
Ich legte die Hand auf Dadguls Arm, aber er schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege.
»Halt doch mal an, Dadgul! Ich will Wolfgang Hallo sagen und mich noch mal für das tolle Catering bedanken!«
»Das geht nicht. Ich kann hier nicht anhalten.«
Nanu? Ich dachte, er suchte einen Parkplatz? Dadgul gab sogar noch Gas, was in dieser engen Gasse völliger Blödsinn war. Eselskarren, Fußgänger mit schweren Lasten auf dem Kopf, verschleierte Frauen mit Kleinkindern und Autos, die hupend Stoßstange an Stoßstange standen, verwehrten jede schnelle Durchfahrt.
Mühsam kurbelte ich die staubige Scheibe herunter, und sofort schlug mir der unverwechselbare Geruch von Kunduz in die Nase: Abgase, Staub, Gewürze. »Juhuu! Wolfgang! Wir sehen uns nächste Woche in Bergfeld!« Ich winkte mit dem Schrieb, auf dem meine Rede in Dari stand. Wolfgang reagierte nicht, sondern ging zielstrebig auf die vor Menschen wimmelnden Markthallen zu.
»Er kann dich nicht hören!«
Dadgul beugte sich vor und kurbelte die Scheibe wieder hoch. »Der ganze Gestank kommt rein!«
»Mensch Dadgul, du Blödmann! Ich will ihm doch nur noch gute Reise wünschen!«
»Du hast keine Zeit für Plaudereien. Du musst deine Rede lernen!«
Ich renkte mir fast den Hals nach Wolfgang aus, aber Dadgul schoss in eine Verkehrslücke, und ein großer Bus nahm mir die Sicht.
»Bist du etwa eifersüchtig?« Forschend sah ich Dadgul von der Seite an. Erst die Sache mit dem Malek aus Eshantup und jetzt Wolfgang. Wollte er mir alle meine Freunde vermiesen?
»Quatsch, Mama. Erzähl keinen Scheiß!«
»Aber du bist so anders! – Dadgul, was ist los?«
»Nix ist los. Wir haben es eilig, das ist los.«
Wieder gab Dadgul plötzlich Gas.
»Mann Dadgul, bist du wahnsinnig? Du weißt doch, dass mir schlecht wird, wenn du wie ein Idiot fährst!«
»Üb deine Rede!«
Wir waren gerade auf der Höhe des Kunduz-Kinos, als ein ohrenbetäubender Knall die Luft zerriss. Die Autoscheiben vibirierten. Reflexartig klammerte ich mich an den Haltegurt.
»Was war denn das?«
»Keine Ahnung. Vielleicht eine Minensprengung.«
»Aber mir ist fast das Trommelfell geplatzt …«
»Lern deine Rede, verdammt!« Dadguls Handy klingelte. Mit zitternden Händen zog er es aus der Hosentasche und presste es ans Ohr. Er war längst nicht so cool, wie er tat. »Hallo?«
»Wer ist dran?«, fragte ich aufgeregt dazwischen.
»Saidagul, mein Freund aus dem Farbenladen.« Dann sprach er hektische Worte ins Telefon, ein Redefluss, der immer mehr anschwoll und immer lauter wurde.
»Scheiße, Mama!«, brüllte Dadgul schließlich. »Ein Bombenattentat! Direkt am Basar!«
Mein Kopf fuhr herum, und ich sah schwarzen Rauch aufsteigen. Menschen rannten in Panik herum, stießen schrille Schreie aus und fielen weinend neben den Opfern zu Boden.
»Wolfgang!« Ich rüttelte an der Beifahrertür, aber Dadgul drückte aufs Gas.
»Wir können da jetzt nicht hin, Mama!« Dadgul presste weiterhin sein Handy ans Ohr, und die Stimme seines Bekannten überflutete ihn mit weiteren Informationen.
»Es hat die deutschen Soldaten erwischt!«
»Nein!« Mich durchfuhr ein Schock. Nicht Wolfgang! Nicht diesen bezaubernden jungen Mann, dem ich noch vor fünf Minuten gewinkt hatte! Das konnte doch nicht wahr sein! Wir wollten doch nächste Woche zusammen in Bergfeld mit seiner Mutter Kaffee trinken!
»Wir fahren jetzt zur Brunneneinweihung!« Fest entschlossen lenkte Dadgul unsere Klapperkiste weiter in Richtung Ango Bargh.
Wie in Trance hielt ich meine Einweihungsrede, fünfzig neue Brunnen. Ich sah lachende Augen und weinende, Menschen, deren Lebensumstände sich von nun an drastisch verbessern würden. Normalerweise genoss ich es immer, die Leute so glücklich zu sehen, versuchte, mit ihnen zu
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