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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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plaudern und Fotos zu machen. Aber an diesem Tag konnte ich mich nicht konzentrieren, hoffte immer noch, dass Wolfgang mit dem Leben davongekommen war.
    Doch dem war leider nicht so. Wolfgang und zwei andere deutsche Soldaten waren dem Bombenattentat zum Opfer gefallen. Ihre Leichen waren bereits abtransportiert worden, und niemand durfte sie sehen.
    Die afghanischen Opfer wurden dagegen zu Hause aufgebahrt, in den Höfen ihrer Familien.
    Wer ihre zerfetzten Leichen gesehen hat, wird sie nie mehr vergessen. Auch der Sohn des Farbenhändlers, mit dem Dadgul telefoniert hatte, lag da, auf den ersten Blick völlig unversehrt, aber durch seine Augen war ein Geschoss gegangen.
    Die Männer der Familie warfen sich auf ihren toten Verwandten, klammerten sich an ihn, ballten die Fäuste und schworen Rache.
    Weiter hinten im Frauenhof ertönten Klagegesänge. Ich gesellte mich zu ihnen und weinte um Wolfgang, meinen Freund. Um all die Toten, die für nichts und wieder nichts ihr Leben lassen. Schrecklich, dass sich die Befürchtungen von Wolfgangs Mutter nun doch noch bewahrheitet haben!, dachte ich.
    Als ich ein paar Tage später im Flugzeug saß, war Wolfgang mit in der Maschine. Nur dass er im Frachtraum war.
    Bei der Landung wollte ich mit seinen Eltern sprechen. Doch sie kannten mich nicht, hatten kein Interesse an der fremden Frau. Sie wollten in Ruhe um ihren Wolfgang trauern. Das Kaffeetrinken in Bergfeld sollte niemals stattfinden.
    Dafür habe ich die Jungenschule und das Computerzentrum in Katachel nach Wolfgang Grebenstein benannt. Auf einem Schild über dem Eingang steht sein Name auf Dari und auf Deutsch. Heute gehen täglich über vierhundert Kinder in die Wolfgang-Grebenstein-Schule.

34
    Drei Monate später war ich schon wieder in Katachel. Das Leben der Überlebenden ging weiter. Ich hatte für Katachel
e . V. genug Spenden gesammelt, um Reis, Ziegen und Geld an die Witwen und Waisen in meiner Wahlheimat zu verteilen.
    Weil Dadgul in letzter Zeit immer weniger präsent war, schnappte ich mir Anwar, den gutmütigen Jungen vom Lastwagen, damit er mir bei der Verteilung half. Dadgul fuhr stattdessen wichtig mit dem Auto herum und pflegte seine Kontakte zu den Mächtigen und Einflussreichen. Ich nahm das nur kopfschüttelnd zur Kenntnis. Wohl war mir dabei nicht. Aber was sollte ich denn machen! Ich brauchte einen Vertreter in Afghanistan.
    »Pass auf, Anwar. Das funktioniert nur, wenn sich die Frauen in Reih und Glied aufstellen. Das Drängeln und Schreien bringt nichts. Kannst du hier für Ruhe und Ordnung sorgen?« Der schüchterne, schmächtige Anwar errötete vor Stolz.
    »Mein Freund Hamidullah kann auch helfen! Der kann sogar lesen und schreiben!«
    »Und du nicht, Anwar?«
    »Nein. Aber wir sind schon von klein auf befreundet.«
    »Okay. Hamidullah, nett dich kennenzulernen! Ich bin Sybille Schnehage.«
    Hamidullah, der mir auf Anhieb vertrauenswürdig vorkam, begrüßte mich mit einer Verbeugung. »Ehrwürdige Ade Sheni Hagei , wer kennt Sie nicht.«
    »Gut, prima, dann hätten wir das ja geklärt. Also, du verteilst die Ziegen, die da vorne angepflockt sind, und du, Anwar, den Reis aus den großen Säcken. Den musst du abmessen, jede Witwe bekommt zwanzig Kilo. Ich verteile dann das Geld … Bitte nicht so drängeln meine Damen, ihr kommt alle dran!«
    » Mokhteram sani Schnehage – ehrwürdige Frau Schnehage?« Hamidullah tippte mich schüchtern auf den Arm. »Lassen Sie Anwar die Ziegen verteilen. Ich übernehm das mit dem Reisabmessen.« Er lächelte scheu.
    »Wie? Ach so, klar. Du kannst ja lesen.«
    »Der Naser und der Mobin wollen auch helfen.«
    »Sind das Freunde von euch?«
    »Ja. Und Assad, der Polizist, auch.«
    Na, bitte! Falls Dadgul glaubte, ich würde es ohne ihn nicht schaffen, war hier der Gegenbeweis. Ein halbes Dutzend Männer gierte danach, mir behilflich zu sein.
    »Prima. Ich verlass mich auf euch.« Begeistert nickte ich meinen freiwilligen Helfern zu. Gar nicht so schlecht, dass ein Polizist dabei war. Da würde es niemand wagen, sich heimlich an den Spenden zu bereichern.
    »Ihr könnt die nächsten zehn Frauen reinlassen.«
    Mit Dadgul hatte ich es immer so gehandhabt, dass nur zehn in den Hof gelassen wurden, der Rest wartete vor dem Tor. Nicht dass wir sie in alphabetischer Folge aufgerufen hätten. Das war der falsche Denkansatz. Wir hatten schon aus vielen Fehlern gelernt. Früher hatten wir alle auf einmal reingelassen, das reinste Chaos. Sie schrien und bettelten,

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