Drachenklänge
Zufriedenheit ausfielen.
Dabei hütete er sich, seinen Vater zu stören.
Natürlich merkte er nicht, dass seine Mutter ihn aufmerksam beobachtete. Und sich freute, wenn seine kindlichen Bemühungen von Erfolg gekrönt wurden.
Selbst in Familien, die großartige Musiker hervorgebracht hatten, gab es Mitglieder, die einfach kein Gehör für Töne hatten und schlichtweg unmusikalisch waren.
Sie hatte schon darüber nachgegrübelt, wie Petiron reagieren würde, sollte sein Sohn nicht das geringste musikalische Talent besitzen. Denn für sie stand fest, dass ihr Gatte auf Biegen und Brechen damit beginnen würde, seinem einzigen Kind Musikunterricht zu erteilen. Diese Sorge war sie endgültig los. Der kleine Robinton hatte nicht nur viel Freude am Musizieren, er besaß auch das absolute Gehör und vermochte tonrein zu singen.
Wenn Petiron sich gerade mit seinen Schülern beschäftigte, pfiff Merelan Robinton einfache Weisen vor.
Petiron mochte es nicht, wenn sie pfiff – erstens, weil er selbst es nicht konnte, und zum anderen fand er, dass es sich für Frauen nicht schickte. Obwohl Merelan ihren Mann von Herzen liebte, gestand sie sich insgeheim ein, dass viele seiner Ansichten hoffnungslos altmodisch und ohne jeden vernünftigen Sinn waren.
Robie schnappte die Melodien, die sie pfiff, genauso mühelos auf, wie er die Tonleitern auf seiner kleinen Flöte gelernt hatte. Und als er anfing, Variationen der einzelnen Motive zu erfinden, musste sie darum kämpfen, ihre Gefühle zu zügeln. Sie brannte darauf, Petiron zu erzählen, wie musikalisch sein Sohn war, doch sie wollte verhindern, dass der kleine Robie zu einer Ausbildung gedrängt wurde. Dies hätte ihm die 50
Freude an der Musik für immer verleiden können. Petiron war den älteren Schülern ein hervorragender Lehrer, doch mit den Anfängern ging er viel zu streng um. Sie befürchtete, er könne Robinton hoffnungslos überfordern.
Eines Nachmittags bat sie Washell, den Meister, der die jüngsten Lehrlinge unterrichtete, um Hilfe. Sie gab vor, er solle mit ihr noch einmal die Dynamik eines Quartetts durchgehen, das sie beide für das Fest der Sonnenwende einstudierten. Washell, ein jovia-ler, freundlicher Mann von über sechzig Wintern, der einen herrlichen Bass sang, erschien mit frisch gebackenen Keksen und einer Kanne Klah.
»Und nun verrate mir den wahren Grund, weshalb
du mich sprechen möchtest, Merelan«, sagte er rundheraus, nachdem sie sich überschwänglich für die Erfrischungen bedankt hatte. »An dem Tag, an dem du Petirons Werke nicht mehr singen kannst, gebe ich meinen Meistertitel ab.«
»Ich benötige wirklich deine Hilfe, Washell«, erwiderte sie fröhlich. »Robie, komm doch bitte hierher und sieh, was Meister Washell mitgebracht hat.«
Sie hätte ihn nicht eigens zu rufen brauchen. Das köstliche Aroma des warmen Gebäcks drang bis ins Nebenzimmer, wo Robinton flach auf dem Bauch
lag und auf einer Sandtafel Linien zeichnete. Merelan hatte ihm kürzlich die Tafel gegeben, damit er anfangen konnte, das Alphabet und – wenn möglich – die Notenschrift zu lernen.
»Hmm, die Kekse duften aber gut«, sagte er. »Danke, Meister Washell.«
»Gern geschehen, junger Mann.«
Die Kulisse für Merelans Auftritt war perfekt. »Hier!«
begann sie forsch. »Die Stelle, an der die Tempi so rasch wechseln – ich bin mir nicht sicher, ob ich sie korrekt singe. Robie, gib mir bitte mal den Ton A.«
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Washell lupfte die buschigen grauen Brauen, und
seine Augen glitzerten, als Robie die winzige Flöte aus seinem Hosenbund zog und die richtige Note spielte.
Dann sang Merelan die schwierige Passage, wobei
sie absichtlich eine ganze Note verkürzte. Robie schüttelte den Kopf und schlug mit den Fingern den akku-raten Takt.
»Wenn du es besser weißt als ich, mein Junge, dann spiel bitte vor, was ich singen muss«, meinte Merelan wie beiläufig.
Robinton spielte die gesamte Passage, und Washell blickte abwechselnd Merelan und ihren Sohn an. Die Hände über dem Bauch gefaltet, suchte er den Blick der Meistersängerin und nickte verstehend.
»Hab vielen Dank, mein Schatz. Das hast du gut gemacht«, lobte Merelan Robie und erlaubte ihm, einen zweiten Keks zu nehmen. Er stopfte die Flöte wieder in seinen Hosenbund und hockte sich auf den kleinen Schemel, um genüßlich das Gebäck zu verspeisen.
»Deine Mutter hat Recht. Ich selbst hätte es nicht besser gekonnt, Robinton«, betonte Washell in feierli-chem Ernst. »Du hast die Melodie
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