Drachenklänge
sang seine Mutter. Viele gute Stimmen begleiteten den Refrain, und Rob fragte sich, wieso man in Benden nach einer Meistersängerin verlangt hatte, ein tüchtiger Geselle hätte auch genügt.
Dann fiel ihm ein, dass sie ja Maizella unterrichten sollte. Robinton rümpfte die Nase. Das Mädchen schmetterte aus Leibeskräften, offenbar weil sie in ihre eigene Stimme verliebt war. Er gestand sich ein, dass 142
sie über eine gewisse Begabung verfügte, aber sie brauchte nicht so zu kreischen und von Atemtechnik hatte sie überhaupt keine Ahnung.
Seine Mutter beschränkte sich auf vier Lieder. Sie lächelte erfreut, als Instrumente gebracht wurden und bedeutete den Musikanten, an der Hohen Tafel Aufstellung zu nehmen. Die beiden Gitarrenspieler, ein älterer und ein jüngerer Mann, glichen sich so sehr, dass sie Vater und Sohn oder zumindest Onkel und Neffe sein mussten. Der Geiger spielte seine Fiedel, indem er sie auf das Knie stützte anstatt sie unters Kinn zu klemmen, doch als er loslegte, erwies er sich als ein wahrer Virtuose. Eine Frau spielte Querflöte, zwei junge Burschen traten mit Panflöten auf. Der Trommler war so vernünftig, sich mit einer angenehm diskre-ten Begleitung zu begnügen.
Auf Merelans Wink hin fiel die gesamte Zuhörerschaft in den Refrain ihres ersten Liedes ein. Der Chor war nicht schlecht, urteilte Robinton, doch er selbst hielt sich zurück und sang verhalten, ganz anders als daheim in der Harfnerhalle. Falloner besaß einen kräftigen Sopran und sang aus voller Kehle, wie alle anderen Kinder am Tisch – weil sie vor ihm angeben wollten, vermutete Robinton. Doch dieses prahle-rische Verhalten war er von den Neuankömmlingen in der Harfnerhalle gewöhnt, und er ließ sich nichts anmerken.
»Höflichkeit kostet nichts, also sollte man stets freundlich bleiben – allen Menschen gegenüber«, pflegte seine Mutter zu sagen. »Kein Sänger, der sein Salz wert ist, würde auch nur im Traum daran denken, andere Sänger durch Lautstärke übertrumpfen zu wollen«, lautete ein anderer ihrer Lieblingssprüche. Halanna hatte ihn oft genug zu hören bekommen. Robinton hoffte, Maizella würde seiner Mutter nicht dieselben Schwierigkeiten bereiten.
143
Obwohl Robinton den Text und die Melodie auswendig wusste, stimmte er nicht in Merelans letztes Lied an diesem Abend ein. Hinterher entschuldigte sie sich liebenswürdig für das kurze Programm und versprach mehr Ausdauer, sowie sie sich auf den Zeitun-terschied in Benden eingestellt hätte.
Als sie sich wieder hinsetzte, wurde sie mit begeis-tertem Applaus belohnt.
Falloner stubste Robinton in die Seite und stand auf.
»Findest du allein den Weg zu eurem Quartier?« fragte er. »Wir Kinder müssen jetzt die Halle verlassen, damit die Erwachsenen unter sich sind.«
Lady Hayara erhob sich gleichfalls und gab den
Kindern ein Zeichen. Alle sprangen folgsam von den Stühlen hoch und pilgerten in Richtung Treppe. Robinton und seine Mutter tauschten einen Blick, und sie gab ihm zu verstehen, er möge auf sie warten.
»Ich gehe mit Mutter nach oben«, erklärte Rob, obwohl er sich noch gern mit Falloner unterhalten hätte.
»Du hast Glück, dass du ein Zimmer ganz für dich allein hast«, beschied ihm Falloner. »Ich kampiere mit einem halben Dutzend anderer Jungen in einer Kammer. Nun ja, im Weyr musste ich auch in einem Ge-meinschaftssaal hausen«, fügte er ergeben hinzu. »Bis morgen dann.«
»Danke für alles, Falloner«, sagte Robinton leicht verlegen. Falloner grinste und schickte sich an, ein paar Kinder, die trödelten, aus der Halle zu scheuchen.
*
Von seiner Mutter erfuhr Robinton nie den wahren Grund für ihre überhastete Abreise von der Harfnerhalle, doch er bekam heraus, dass keiner in Benden ernsthaft mit dem Erscheinen der berühmten Meistersängerin gerechnet hatte. Und weil Merelan Maizellas 144
lärmendes Organ auf ein erträgliches Maß dämpfte, war sie bald in der gesamten Burg hoch geschätzt.
Lord Maidir war ein anständiger Mann und besaß
einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, doch er vergötterte seine Tochter Maizella, die mit ihren sechzehn Lenzen weder die Klugheit noch die charakterliche Reife besaß, die ihren Bruder Raid auszeichneten.
Robie hielt Raid für einen Langweiler, er fand ihn steif und linkisch, aber der junge Mann hatte das Ge-spür für Fairness von seinem Vater geerbt und konnte Kritik verkraften. Im Gegensatz zu seiner Schwester war er allgemein beliebt. Und in der Burg gab es eine
Weitere Kostenlose Bücher