Drachenklänge
blies die Firnisdämpfe fort, die ihm unangenehm in die Nase
stachen.
»Gut gemacht«, lobte Meister Bosler, der an Robin-236
tons Werktisch stehen geblieben war. »Besonders gut gefallen mir die feinen Intarsien. Mit dem Skybroom-Holz hast du eine erstklassige Wahl getroffen. Bei der nächsten Versammlung wirst du einen ordentlichen Preis dafür erzielen.«
»Da an Skybroom-Holz so schwer heranzukommen
ist, möchte ich die Harfe vorläufig noch selber behalten«, entgegnete Robinton, wobei er in Meister Boslers Miene zu lesen suchte. Wusste er von seiner bevorstehenden Versetzung? Meister Gennell war bekannt da-für, dass er sich vor wichtigen Entscheidungen die Meinungen der anderen Meister einholte. Doch Meister Boslers Miene blieb unergründlich.
Robinton fuhr fort, den Firnis aufzutragen. Er benutzte keine schnell trocknende Sorte, da er keine Pin-selstriche hinterlassen wollte.
Als die Zeit zum Abendessen gekommen war, hatte
sich Robintons anfängliche Euphorie verflüchtigt. Sein Magen schmerzte, und ihm war mulmig zumute. Ob
sein Vater für seine Versetzung in eine andere Burg verantwortlich war, weil er den ungeliebten Sohn nicht mehr sehen wollte? Er traute ihm zu, ihn in eine entlegene, hinterwäldlerische Ansiedlung zu schicken, wo er dann wie ein Knecht die geringsten Arbeiten zugewiesen bekam. Je weiter entfernt die Burg lag, umso besser, denn dann konnte er nicht so oft zu einem Besuch heimkommen.
Robinton hoffte, man würde ihn nicht Meister Ricardy in Burg Fort zuteilen. Ricardy hatte bereits drei Gehilfen und einen weiteren, älteren Harfner, der sich ausschließlich damit beschäftigte, die greisen Tanten und Onkel der Familie zu unterhalten. Doch dann
verwarf Robinton diese düsteren Gedanken. Meister Gennell hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er in seiner Eigenschaft als Lehrer fortgeschickt würde.
Darum drehte sich ja das ganze Gespräch, Meister 237
Gennell hatte von ihm wissen wollen, ob ihm das Unterrichten Spaß machte.
Obwohl sich Lorra mit dem Abendessen wieder einmal selbst übertroffen hatte, bekam Robinton keinen Bissen herunter. Seine Tischgenossen, die seinen herzhaften Appetit kannten, bemerkten dies sofort.
»Die Firnisdämpfe haben mir den Appetit verdorben«, erklärte Robinton.
Falawny sah ihn mit großen Augen an. »In den drei Lehrjahren ist das zum ersten Mal passiert«, wandte er ein. »Aber umso mehr bleibt für uns übrig, nicht wahr, Kameraden?« Mit der Gabel spießte er eine dicke
Scheibe Rostbraten auf, als der Teller herumgereicht wurde.
In der Halle hatte Robinton keine Gepäckstücke gesehen, also hatte niemand einen Tipp bekommen, dass heute vielleicht die Tische gewechselt wurden. Heimlich schielte er zu dem Tisch hin, an dem die Lehrlinge im vierten Ausbildungsjahr saßen. Sie fielen so gierig über das Essen her, dass nichts ihren Appetit beein-trächtigt haben konnte.
Entschlossen tunkte Robinton sein Brot in die Sauce und begann zu essen, obwohl sich ihm vor Nervosität oder Hunger der Magen verkrampfte. Dabei waren
ihm beide Zustände fremd. Er hatte noch nie hungern müssen, und er weigerte sich, sich wegen einer vagen Vorahnung aus der Ruhe bringen zu lassen.
Seine Blicke richteten sich auf Merelan, doch die aß völlig unbekümmert und unterhielt sich abwechselnd mit seinem Vater oder Meister Washell, die neben ihr saßen. Nun ja, vielleicht hatte man sie nicht eingeweiht.
Weil Robintons Argwohn geweckt war, fiel ihm auf, dass Geselle Shonagar etwas abseits an einem Mittel-gang saß. Doch daran war eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn Gesellen liefen ständig hin und her, 238
um Aufträge ihrer Meister zu erfüllen oder andere Besorgungen zu erledigen.
Die Süßspeise und Klah wurden serviert, und allmählich beruhigte sich Robinton.
Dann hörte er, wie ein Stuhl nach hinten gerückt wurde. Meister Gennell stand auf und klopfte um
Aufmerksamkeit heischend an sein Glas. Sofort trat eine unnatürliche Stille ein, als würden alle im Saal Anwesenden den Atem anhalten.
»Wie ich sehe, hört mir jeder zu.« Lächelnd ließ Gennell den Blick über die Tische wandern. »Meister Washell, lassen Sie die Stühle bringen.«
Es oblag den Lehrlingen im ersten Ausbildungsjahr, zusätzliche Stühle an den Gesellentisch zu schleppen.
Zwölf Stühle waren es dieses Mal! Wer würde sich in den nächsten Minuten darauf setzen? Neunzehn Lehrlinge befanden sich in der Abschlussphase ihrer Ausbildung. Alle bemühten sich, ruhig und
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