Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Bürde der Verantwortung von den Schultern genommen ist – der Kerl nicht, der meutert, zeigt sich widerspenstig, weil es hier um Gesundheit und nicht um Verantwortlichkeit geht! Auf einem kleinen Schildchen an der Brust des Mannes kann Goff den Namen lesen: Dragomil Stotzner. Der Name kommt ihm bekannt vor, aber jetzt ist keine Zeit für aufwendige Grübelei – die Situation wird kritisch.
Da erhält Goff unerwartet Beistand. “Beruhigen Sie sich, Herr Kollege!” näselt Quadrangel und klopft dem anderen leutselig auf die Schulter. “An sich ist das alles doch sowieso nur Formsache. Ich kann Sie gern Einblick in mein Kontroll- und Testprogramm nehmen lassen, damit Ihnen Ihr Gewissen keine schlaflosen Nächte bereitet. Kennen Sie meine Bordklinik? Was, Sie kennen die Bordklinik der Ikaros nicht? Sie müssen mich mal besuchen in meinem Reich, dann glauben Sie mir auch, daß diese Routineuntersuchung wirklich überflüssig ist. Eigentlich genügt es absolut, die in der Kartei gespeicherten Parameter zu überspielen. Vielleicht sollten wir wirklich dazu übergehen, schließlich ist das auch eine Frage von Effektivität und Produktivität…”
Goff hört nicht mehr zu. Quadrangel redet und redet, und die Miene des jungen Basisarztes wird zusehends friedfertiger. In Goffs Zustimmung mischt sich aber die Frage, warum der Bordarzt derart handelt. Skamander hat ihn als ungewöhnlich ehrgeizig und empfindlich geschildert. Sollte dieser Ehrgeiz der Grund sein? Möglich. Wahrscheinlich fühlt sich der Bordarzt dadurch bestätigt, daß sich die Basisexperten mit seinen Befunden begnügen müssen.
Aber, mein Gott, warum schläft der Kerl denn fast ein beim Reden? Goffs Verwunderung schlägt allmählich in Befremden um. Wo andere beim Sprechen mit den Händen die Luft zerfuchteln, da führt der Arzt so etwas wie ein elegisches Ballett auf: gemessen, betulich, ja – träge…
Allerdings mißt Goff dem nicht allzu große Bedeutung bei, denn seines Wissens gehört es zu den Eigenarten sich besonders ernst nehmender Menschen, Souveränität als eine Art kultischer Gemessenheit zu demonstrieren. Viel interessanter für ihn ist die Wirkung dieses Gehabes auf den jüngeren Arzt, in dessen Augen beinahe so etwas wie Neid aufglimmt, als Quadrangel seine Bordklinik schildert.
Goff sieht, wie der Bordarzt seinem Kollegen aufatmend die Hand drückt. Sofort meldet sich in ihm wieder das Mißtrauen. Dieses kurze Aufatmen war zuviel, Doktor! sagt er sich. Also ist es nicht nur beruflicher Ehrgeiz, was den Arzt leitet. Aber was kann es darüber hinaus sein? Stimmt das Bild des Arztes, das Skamander und Marigg entworfen haben? Gab es in der letzten Zeit wichtige Veränderungen? Warum haben dann beide davon nicht berichtet?
Plötzlich kommt Quadrangel auf ihn zu, nimmt Goff beim Arm und zieht ihn ein Stück zur Seite. “Sie sind also der Kollege vom MOBS”, sagt er nachdenklich und fügt verwirrt hinzu: “Das hätte ich nie für möglich gehalten, wirklich nie…” Dann schaut er Goff geradewegs in die Augen, und in seinem Gesicht glätten sich alle Linien. “Ist das eine Berufskrankheit? Anders kann ich es mir nicht erklären.”
Goff weiß absolut nicht, was der Arzt meint, der langsam und bedächtig spricht. “Doktor, Sie müssen mir schon sagen…” Im selben Moment merkt Goff, daß er sich verraten hat. Er hätte nie “Doktor” sagen dürfen! Wenn er seine Position Quadrangel gegenüber bewahren will, dann muß er der “Kollege” bleiben! Wie konnte ihm nur diese Nachlässigkeit unterlaufen!
Aber der Bordarzt der Ikaros hat es offensichtlich nicht gemerkt, dafür fixiert er Goff scharf und flüstert: “Himmel! Mann, wissen Sie es etwa noch gar nicht…, ist es Ihnen noch nie aufgefallen? Kommt Ihnen Ihre Umwelt nicht vor wie ein zäher Brei, in dem Sie rettungslos versinken, durch den Sie sich mühsam hindurchquälen müssen? Fühlen Sie sich nicht wie eine Eidechse unter lauter Schildkröten?”
Goffs Gehirn zieht sich schmerzhaft zu einem Knoten zusammen. Der Arzt hat recht! Hundertmal hat er selbst diese Frage gestellt, anderen.
“Merken Sie es wirklich nicht, daß Sie ein…”
“Ruhig!” Goffs Befehl kommt leise, aber unerhört scharf. Was in den wenigen Sekunden in ihm vorgeht, ist wie die Geburt eines neuen Sterns. Brüllend toben Hitzemassen durch sein Denken, strudeln, wirbeln, verdichten sich zu einer Ahnung, die zur Gewißheit wird. Und diese Gewißheit zerbirst einer Nova gleich, gebiert die
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