Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
jetzt wohl keinen Zweck, Flakke aufzuklären. Später vielleicht, der Mann muß das doch begreifen.
“Keine Sorge, Kosmander”, antwortet er betont gelassen. “Die Mungos in Ihrer Mannschaft interessieren mich nicht, jedenfalls nicht in meiner Eigenschaft als Mungojäger.” Er dehnt das verhaßte Wort spöttisch. “Allerdings erwarte sich von Ihnen…” Goff unterbricht sich, weil ihm plötzlich ein Licht aufgeht. Na klar: Quadrangel! Dem kann doch gar nicht verborgen geblieben sein, daß er mindestens einen Mungo – Skamander – unter seinen Leuten hat! Also sagt er weiter: “… und von Ihrem Bordarzt, daß diese Leute sofort beurlaubt werden, sofern sie den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr gerecht werden, schließlich geht es dabei um die Sicherheit Ihres Drachenkreuzers.”
Flakke schnauft irritiert, er ist völlig überrumpelt. Dann sagt er ganz unkonventionell: “Das walte Hugo!”
Goff schmunzelt. Hier ist anscheinend eine regelrechte Verschwörung im Gange, denkt er. Na ja, meinetwegen sollen sie ruhig, so eine Verschwörung stärkt immerhin den Zusammenhalt und damit die Moral. Beides kann die Mannschaft der Ikaros wohl gut gebrauchen.
Er wechselt schnell das Thema und fragt Flakke nach dem genauen Zeitpunkt des Abflugs. Anscheinend ist der Kosmander froh, über andere Dinge reden zu können. Wenig später sind sie sich einig.
Gerade als Goff die Klinik verlassen will, tritt der Bordarzt noch einmal an ihn heran. “Reißen Sie sich zusammen, Sie müssen sich einbilden, Sie würden barfuß über Glasscherben laufen, und wenn Sie sprechen, atmen Sie vorher aus. Verschränken Sie die Hände hinter dem Rücken oder vor der Brust, fixieren Sie irgendeinen Punkt, wenn Sie sich beobachtet fühlen…”
Quadrangels eindringliches Flüstern macht Goff wieder seine Lage bewußt. “Danke, Doktor”, antwortet er müde, dann läuft er durch das wuchernde Grün der Klinik und stellt sich vor, mit nackten Füßen über einen Haufen scharfer Glassplitter hinwegzusteigen. Tatsächlich, es geht, denkt er, doch das kurzzeitige Erstaunen weicht sich verstärkender Niedergeschlagenheit.
Ich bin ein Mungo! Es ist nicht mehr wie ein Schrei, der sein Denken und Fühlen durchschrillt, sondern wie ein qualvolles Stöhnen. Goff spürt, wie sich eisige Leere in ihm ausbreitet, und in diese Leere hinein senkt sich eine Angst, wie sie gräßlicher nicht sein kann – die Angst vor einem Tod, der sich zur unvorstellbaren Qual dehnen wird, vor einem Sterben, das fast ein ganzes Leben lang anzudauern scheint…
Er weiß sehr wohl, was ihn erwartet, und er hat sogar schon einmal geäußert, er würde sich das Leben nehmen, sobald er die ersten Symptome des Mungoismus an sich entdeckte. Oft genug hat Goff dabeigestanden, wenn ein Mungo verreckte. Hilflos, schaudernd vor dem Anblick des zuckenden, röchelnden Bündels, das einmal ein Mensch war wie er selbst.
Es beginnt für gewöhnlich mit spontan auftretenden Muskelrissen oder Bänderverletzungen, wenn die Lebensgeschwindigkeit die Verschleißgrenze übersteigt. Erstes Alarmsignal jedoch ist die mungoide Farbblindheit: Durch das gesteigerte Tempo der nervösen Prozesse verschiebt sich das für den Mungo sichtbare Spektrum unmerklich zum ultravioletten Bereich hin. Allerdings wird diese Veränderung von den Mungos kaum bemerkt, weil die Sehschärfe davon nicht beeinträchtigt ist und der subjektive Farbeindruck allmählich wechselt. Wenn einem Mungo dann einmal auffällt, daß Blätter früher grün waren und nicht blau, dann ist das Ende schon sehr nahe. Jetzt aber erst offenbart die Erkrankung ihren teuflischen Charakter. Für den Außenstehenden verfällt der Mungo zusehends innerhalb weniger Tage, und auch der schließlich eintretende Tod erscheint dem gesunden Beobachter ein rasches, beinahe plötzliches Ende. Doch ganz anders empfindet der Mungo. Für den, dessen Lebensgeschwindigkeit ein kaum noch vorstellbares Maß erreicht und sich immer weiter beschleunigt, dehnen sich Stunden zu Tagen und Wochen zu Jahren.
Er kann sich kaum noch bewegen, da die Trägheit seiner Körpermasse für ihn ins scheinbar Unermeßliche wächst. Er wird von zunehmender Atemnot gequält, weil die Muskulatur des Brustkorbs nach und nach ausfällt und der Luftwiderstand für sein Gefühl so stark ansteigt, daß er schließlich das Empfinden hat, eine Flüssigkeit zu atmen. Schließlich beginnt der Mungo zu bluten. Nicht nur aus Mund, Nase und Ohren, sondern auch aus der Haut.
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