Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Erkenntnis: Ich bin ein Mungo!
Hermel Goff bricht nicht zusammen. Er wankt nicht einmal. Vielleicht ist es wie die Ruhe eines Mediziners, der sich den Geschwulsterkrankungen verschrieben hat und nun den Krebs auch an sich selbst diagnostizieren muß. Er hat darauf gewartet, nicht gerade mit Sehnsucht, aber mit einer Befürchtung, die in seinem Beruf fast an die Gewißheit grenzt, daß es einfach geschehen mußte… Ein irrsinniger Gedanke durchzuckt Goff: Nun darf mir niemand mehr einen Vorwurf aus meinem Beruf machen, nun bin ich mir selbst Rechtfertigung genug. Aber ein anderer Gedanke deckt diese Worte zu wie ein mächtiger Schrei: Es ist aus, alles ist aus!
“Wie alt sind Sie?” fragt Quadrangel, dem offenbar verborgen geblieben ist, was in dem anderen vorging.
Goff ist auf einmal wieder ganz ruhig und nicht wenig stolz auf seine eiserne Beherrschung. Der läßt nicht locker, denkt er, und kann sogar grinsen. “Sie haben recht, Herr Kollege”, sagt er, “ich bin sechsunddreißig Jahre alt…”
Quadrangel schluckt verblüfft.
Goff registriert es mit Genugtuung und wagt einen hohen Einsatz: “Aber wie ich denke, wird das für Sie kein Anlaß für unliebsame Aktivitäten sein, nicht wahr?”
Quadrangel nickt automatisch. Mit der Altersangabe hat Goff indirekt bestätigt, ein Mungo zu sein, zumindest hat er zugegeben, vor den Sonnenbeben geboren zu sein. Und die Frage nach dem Alter hat ihm sofort signalisiert, daß auch Quadrangel den Zusammenhang für erwiesen hält.
Noch einmal muß Goff mit aller Gewalt gegen seine Gefühle ankämpfen. Er bleibt Sieger, besonders als ihm klar wird, daß auch der Arzt etwas zugegeben hat, ohne es zu wollen: Quadrangel deckt vorsätzlich Mungos!
Für wenige Sekunden stehen sie sich schweigend gegenüber. Es ist ein drohendes Schweigen, von beiden Seiten.
Goff wird von einem Zittern geschüttelt, kurz nur, doch schwingt dieses Beben wie eine furchtbare Ahnung durch seinen Körper. Noch will er nicht wahrhaben, daß sein ganzes Leben auf einen Schlag verändert ist, noch vermag er sich an die selbstbetrügerische Hoffnung zu klammern, es seien nur die äußeren Umstände seines Daseins, die eine Wandlung erfahren haben, noch verleugnet er die Erkenntnis, daß der Mungoismus eine schreckliche Metamorphose ist, die den qualvollsten Tod gebiert…“Von mir droht Ihnen keine Gefahr”, flüstert Quadrangel, und nacheinigem Überlegen setzt er vorsichtig hinzu: “Ich denke, wir können uns einigen…”
Goff lacht trocken auf, die Worte des Arztes sind wie ein erfrischender Wasserguß in der sengenden Hitze seiner Gedanken. Der Arzt bietet ihm einen Handel an! Noch vor kurzer Zeit war Goff davon überzeugt, die Trümpfe befänden sich in seiner Hand, und nun ist alles auf den Kopf gestellt.
Halt! sagt er sich. Wieso eigentlich ist alles auf den Kopf gestellt, wer sagt das? Wenn Quadrangel mir so kommt, dann doch nicht, um mir einen Gefallen zu tun, dann braucht er mich!
“Gut, Doktor”, antwortet Goff, diesmal bewußt den Titel gebrauchend, denn von nun an soll mit offenem Blatt gespielt werden, “gut – worüber wollen Sie sich mit mir einigen?”
Der Bordarzt sieht sich beunruhigt um und sagt leise: “Hier ist nicht der geeignete Ort… Ich würde vorschlagen, Sie besuchen mich mal auf der Ikaros in meiner Bordklinik, dort kann ich Ihnen viel besser erklären, worum es geht. Dann müßten Sie aber heute oder morgen kommen, bevor wir wieder abfliegen.”
“Meinetwegen auch heute oder morgen, Doktor. Aber es geht ebenso übermorgen oder in zwei Wochen.”
“Nein, eben nicht, verstehen Sie doch…” Plötzlich verstummt Quadrangel, seine Augenbrauen werden zu zwei geraden Linien, und er fragt verblüfft: “Was soll das heißen? Kommen Sie etwa…”
Goff nickt grinsend. “Genau. Ich komme an Bord und werde auf der Ikaros bleiben, bis die nächsten Sonnenbeben vorbei sind.”
“Aha…, soso…”, knurrt Quadrangel, und Goff spürt deutlich, daß der Arzt mit dieser Wendung ganz und gar nicht zufrieden ist. Dann aber überlegt Vegard Quadrangel angestrengt, was Goff unschwer am Spiel der vielfältigen Linien im Gesicht des Bordarztes erkennt. “Vielleicht ist das gar nicht so schlecht”, stellt er unvermittelt fest, aber wohl mehr für sich als an Goff gewandt.
“Es ist ganz sicher nicht schlecht”, bekräftigt Goff, aber diesmal muß er sich die Heiterkeit ins Gesicht zwingen, denn allmählich wächst der dumpfe Druck in seinem Kopf zu einem
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