Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
ist er, als ihm kaum wahrnehmbare, warme Luftstöße ins Gesicht wehen. Es ist wie menschlicher Atem, aber viel dichter. Eine lebendige Kraft, die Kraft des Baumes.
Je weiter Goff nach oben kriecht, desto spürbarer wird der Atem desBaumes. Überall ist es jetzt so feucht, daß es Goff eigentlich unangenehm sein müßte, aber die Wärme nimmt diesem Eindruck das Widerwärtige. In Spiralen windet sich die schmale Röhre aufwärts. Goff kriecht immer hastiger. Ein anderer wäre wohl umgekehrt, wie es dem Menschen eigen ist, da er gar nicht dafür geschaffen ist, sich in dunkle und unbekannte Gefilde zu wagen.
Ein schwacher rötlicher Schein empfängt Goff. Das Licht ist so diffus, daß Goff die Konturen dieser oberen Kaverne nur noch erahnen kann. Er hat das Gefühl, als vibriere und bebe die Luft um ihn. Die Hitze nimmt ihm fast den Atem, er ist klitschnaß. Auf Händen und Knien kriecht er in dieses rote Flimmern, sinkt bis zu den Ellenbogen ein in etwas, was wie ein vollgesogener Schwamm unter ihm nachgibt.
Da sieht er eine Bewegung.
Eine Gestalt richtet sich halb auf, nur als Kontur erkennbar, und er hört eine sanfte Stimme: “Selten findet ein Terraner das Herz des Baumes…, er hat dich bis an seine verwundbarste Stelle vordringen lassen…, er weiß, daß du ihn brauchst, Hermel Goff…, komm…”
Wie betäubt schleppt sich Goff bis zu der winkenden Gestalt und läßt sich entkräftet in die schwüle Wärme sinken. Es wundert ihn kaum, daß er hier Marigg Ellis findet. Auch verwundert es ihn nicht, daß ihm der Elloraner die Hand in den Nacken legt und sagt: “Du brauchst viel Wärme, Hermel Goff, sehr viel Wärme, und nur der Baum und ich können sie dir geben…”
Goff erstaunt nichts mehr. Ihm ist wie einem Wanderer zumute, der endlich den Mut fand, sich niedersinken zu lassen, bevor das Ziel erreicht ist, denn das eigentliche Ziel aller Wanderung trägt ein jeder in sich selbst, und die zurückzulegende Strecke kann man nicht in Kilometern oder Stunden angeben.
“Nimm meine Wärme…”, murmelt Marigg dumpf, und Goff spürt die Hitze zuerst aus seinen Augenwinkeln strömen. Er weint, und er wundert sich auch nicht darüber, daß er keine Scham empfindet. Goff weint…
KAPITEL 18
Unter dem geblähten Omegasegel treibt die Ikaros ins All hinaus, umrundet gemächlich die felsige Kugel des Merkurs. Hendrikje ist entzückt. Das ist doch ein ganz anderes Fliegen als mit diesen feuerspeienden Ungetümen, mit denen die Menschen schon bis zu den Grenzen der Galaxis vordrangen. Durch das Bullauge in ihrer Kajüte kann sie die schillernden Foliebahnen der Toppsegel auf der Steuerbordseite sehen, die der Kosmander gemeinsam mit der Backbordreihe als Manövrierhilfen hat setzen lassen.
Das ist ein Gefühl! Ein elegantes Schweben und Gleiten; fast meint sie, wie bei den alten Segelschiffen der Urzeit die Masten und Rahen knarren zu hören und den Wind, der in den Wanten und Pardunen spielt wie auf Harfenseiten.
O ja, Hendrikje weiß mit diesen ungewöhnlichen Namen für all die Seile und Segel schon ein wenig anzufangen. Sie hat regelrecht gebüffelt, um wenigstens die Grundlagen des Sonnensegelns zu begreifen, und außerdem gibt es hier einen Mann an Bord, dem sie den Triumph nicht gönnen will, sie herablassend lächelnd zu belehren.
Nein, nicht Goff. Das erneute Wiedersehen war nur wie ein kurzer, aber heißer Schmerz. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, Hermel Goff auf der Ikaros zu treffen, und sie wollte Ireas gleich vor diesem widerlichen Menschen warnen. Doch es kam ganz anders. Außerdem liegt Goff stöhnend in seiner Koje in einem der Mannschaftsquartiere und hält sich den Bauch – von ihm droht vorläufig keine Gefahr. Vielleicht hat ihm Bordarzt Quadrangel auch ein Mittelchen gegeben, und er stöhnt nicht mehr, sondern schleicht schnüffelnd durch den Drachenkreuzer. Das berührt Hendrikje jedoch nicht weiter, denn Ireas Flakke ist ein saudummes Rindvieh!
Hendrikje beißt sich erschrocken auf die Unterlippe, obwohl sie diese Worte nur geflüstert hat. Und selbst wenn sie gebrüllt hätte: Flakke, du Rindvieh!, niemand hätte es hören können, denn sie sitzt allein in ihrer Koje und starrt schwermütig auf das Schillern und Flimmern der vom Sonnenwind gebauschten Toppsegel.
Es ist auch nicht so sehr Scham wegen dieses Kraftausdrucks, was sie erröten läßt, sondern die Erkenntnis, mit einer glatten Bauchlandung auf der Ikaros angekommen zu sein. Zugegeben, sie war ungeheuer neugierig
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