Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Warum könnt ihr mir nicht helfen, mir und meinem Kind…?” wimmert Hendrikje.
Goff streichelt behutsam ihren Bauch. Dieses Zögernde, Vorsichtige, beinahe Scheue an ihm ist ihr ungewohnt.
“Ein Kind von uns beiden…” Er seufzt. “Warum kann ich uns nicht helfen, fragst du. Wie könnte ich das! Wir brauchen Massen von Freiwilligen, die sich für Versuche zur Verfügung stellen, wenn wir in absehbarer Zeit Erfolg haben wollen. Das Gesetz, welches eine befristete Aufhebung des Verbots von Experimenten am Menschen gestattet, wird schon monatelang diskutiert, aber letzten Endes wird es so oder so unvollkommen sein, weil man Moral und Verantwortung für den Menschen nicht in Form von Paragraphen produzieren kann. Wir müssen einfach den Mut zum Vertrauen finden, zum Vertrauen in uns selbst. Aber mit diesem Gesetz ist es nicht getan. Zeige mir einen Mungo, der mit uns zusammenarbeiten würde. Jaja, es gibt solche Leute, alle zusammen würden sie vielleicht in dieses Raumschiff passen… Wir haben versagt, als die Folgen unseres Versagens überhaupt noch nicht zu ahnen waren. Unser größter Fehler war, unsere Ideale zum Unterrichtsfach zu machen – als ob man in der Schule lernen könnte, anders zu leben, als es Tausende von Generationen vor uns taten. Wir haben unsere Ideen immer nur als Kennziffern behandelt, die man pflichtgemäß überzuerfüllen hat.
Der MOBS – das ist das weithin sichtbare Symbol für das Eingeständnis unserer Schwäche. Die Kraft, die wir benötigen, darf sich nicht auf ein Organ oder eine Institution beschränken, sie muß aus der ganzen Gemeinschaft kommen. Das zu erreichen erfordert Geduld, Geduld braucht Zeit – und Zeit haben wir nicht mehr, weil wir sie zum Formulieren von Tageslosungen vergeudeten…”
Obwohl Goffs Worte klingen, als habe er jede Hoffnung verloren, schöpft Hendrikje unbegreiflichen Mut. Goff hat keine Zeit mehr! durchzuckt es sie, Goff nicht – aber vielleicht mein Kind! Sie tun etwas, sie arbeiten fieberhaft an einer Lösung – und sie werden eine finden. Bisher haben die Menschen immer eine Lösung gefunden! Warum soll ich mein ungeborenes Kind töten? Sie erzählt Goff, stockend, unschlüssig, was ihr durch den Kopf geht. Klammert sich an die Hoffnung, er werde ihr recht geben, sie bestärken in ihren Gedanken.
Goff sieht sie seltsam an. “Du hast mich also schon aufgegeben?” fragt er, traurig lächelnd.
“Nein, Hermel! So war es doch nicht gemeint…” Hendrikje steigen wieder Tränen in die Augen. “Ich will dich nicht aufgeben, ich bleibe bei dir, wohin du auch gehst, bis…, bis…” Sie schweigt einen Moment, unfähig, es auszusprechen: bis du nicht mehr lebst. Dann fragt sie, erregt keuchend: “Aber mein Kind, Hermel, muß es das Los der Mungos teilen, hat es denn überhaupt keine Aussicht auf ein normales, menschenwürdiges Leben? Darf ich meinem Kind das Leben verbieten?”
Goff schüttelt den Kopf, immer noch den seltsamen Ausdruck im Gesicht. Sacht streichelt er ihr über den Kopf, und Hendrikje erinnert sich ganz schwach an Skamanders Hände, die ähnlich weich und zärtlich waren.
“Weißt du überhaupt, wozu du dich gerade entschlossen hast?” fragt er, und beinahe scheint es Hendrikje, als schwinge Freude mit in dieser Frage.
Hendrikje schluckt mehrmals. “Zu einem Leben in Angst und Hoffnung…”, antwortet sie leise. “Falsch, Hendrikje, du hast beschlossen, aufzustehen und zu kämpfen, denn wenn du unserem Kind helfen willst, dann mußt du heute damit beginnen, indem du beiträgst, allen Mungos zu helfen.” Er kann es nicht lassen! denkt Hendrikje, doch ohne den inneren Widerstand, den diese unverhüllte Forderung noch vor wenigen Minuten in ihr erzeugt hätte. Beinahe findet sie es sogar komisch, daß er auch in dieser Situation an seine Aufgaben als Mops denkt. Dann aber wird ihr vage bewußt, daß Goff wirklich nicht anders kann, weil es ihm nicht etwa um irgendwelche Kennziffern geht, sondern um Menschen. Sie beginnt zu ahnen, daß sie Goff kein größeres Unrecht antun konnte als ihre Verachtung.
“Ich werde unserem Kind helfen”, spricht sie. Damit ist alles gesagt, und Goff hat es auch so verstanden. Er küßt sie heftig, zerquetscht sie dabei fast in seinen Armen, denen sie soviel Kraft gar nicht zugetraut hatte. Dann geht er, als habe er mit feinem Instinkt gespürt, daß sie jetzt mit ihrem Kind allein sein möchte.
Wie viele Stunden verflossen sind, weiß Hendrikje nicht zu sagen, als es leise gegen die
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