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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Hintergrund hielt, ist ein Summenfeld, das näher sein muß, als er für möglich gehalten hätte. Es sind gar nicht so viele Individuen, deren Gedanken er unterschwellig wahrnimmt – es sind höchstens vierzig, vielleicht auch fünfzig, keinesfalls mehr, denn er kann klar differenzieren, ohne seine Blockade zu lockern. Sein fremder Freund hat sich bescheiden zurückgezogen, und Marigg stellt voll Erstaunen fest, daß dieses ungewöhnliche Feld in einem strengen Grundrhythmus schwingt, dem sich alle Einzelwesen willig fügen. Er spürt sogar mehr, noch Erstaunlicheres, für ihn Fremdes: Es ist kein Diktat in diesem Schwingen, keine individuelle Dominanz, sondern ein wahrhaft gemeinsamer Wille, ein Bestreben, stabilisierend mitzutun, ein Aufeinandereingehen – beinahe scheint es ihm, diese Aura gehöre wirklich zu einem einzigen Individuum. Aber er fühlt doch auch deutlich, daß es viele einzelne sind!
    Erneut dringt das Wort der Meister in sein Bewußtsein: Sei in allem, alles sei in dir! Immer neue Nuancen geben sich Marigg preis. Steht er wirklich vor dem Kontakt mit einer Lebensform, die diesen Grundsatz bis hin zur Körperlichkeit realisiert hat?
    Meister Marigg Dual Ellis, soll es dir gegeben sein, die höchste Vollkommenheit dieses Wortes zu erkennen?
    Ihm wird siedend heiß. Alle Meister vor ihm waren steingraue, verwitterte, unerbittliche Denkmäler ihrer selbst. Was aber ist er – Marigg Ellis? Ein nicht mehr ganz junger, aber trotz allem noch unerfahrener, lebenssüchtiger, sich nach Erfüllung sehnender Mensch. Wie könnte er das Werk der Meister weiterführen… Er schüttelt diese Gedanken von sich ab, als wären sie nur Staub. Mit weit ausgreifenden Sätzen springt er voran. Er achtet nicht mehr auf die Gruben und Senken, die Löcher und Krater, die wie Wunden sind im Leib einer einstmals von Menschen bewohnten Insel in einem toten, lebensfeindlichen Meer.
    Auch die hier und da unter dem Tritt der stählernen Stiefel aufstiebende grauschwarze Asche irritiert ihn nicht mehr. Die Gedanken an den Tod haben keine Rechte mehr angesichts des lebendigen Rufens, das aus der Tiefe dieser toten Wüste zu ihm dringt.
    Am Spalt angelangt, schaut er abschätzend nach unten. Ich benehme mich wie ein Idiot! denkt er, denn ihm wird klar, daß er alles an Bord gelassen hat, was ein solches Unternehmen erfordert. Statt den mit Sonnenenergie betriebenen Merkurrover auszuladen, ist er losgerannt wie ein junger Springbock. Keine Seilwinde, kein Werkzeug, keine Meßinstrumente – er hat nur seinen Kopf mitgenommen. Nun, immerhin ist es der Kopf eines Meisters der Sterbenden Sonne!
    Marigg springt. Vier Meter, das geht unter den Bedingungen der geringen Schwerkraft auf dem Merkur auch im Cataphract. Dennoch reißt ihm die Landung die Kniegelenke fast auseinander, weil er den Bruchteil einer Sekunde zu spät an die Mikrohydraulik denkt. Erst rappelt er sich auf, dann schaut er nach oben. Zu dieser Reihenfolge muß er sich zwingen, weil ihm noch während der nicht ganz gelungenen Ankunft auf der Sohle des Spalts in den. Sinn kam, daß er irgendwie und irgendwann auch wieder hinaufgelangen muß. Dieser Gedanke weckte in ihm die arge Befürchtung, daß der sich ihm bietende Anblick seiner Kraft nicht sehr zuträglich sein könnte – also rappelte er sich erst auf und richtete den Blick dann nach oben. Das war gut so.
    Vier Meter in der Waagerechten sind kein Problem, sinniert Marigg, aber an senkrechten vier Metern muß selbst der Verstand eines Meisters der Sterbenden Sonne scheitern, wenn diese steil und ohne jede Stufe oder irgendeinen Halt nach oben führen.
    “Hervorragend, Ellis”, schimpft er, “du bist doch ein wahrer Teufelskerl.”
    Ohne Cataphract wäre es vielleicht zu schaffen. Er schaut auf die Temperaturanzeige. Etwas unter minus achtzig. Kein Wunder, er steht im Schatten, und hier gibt es keine Atmosphäre, die Wärme speichert oder leitet. Eigentlich sollte die Strahlungshitze des Gesteins höher sein, aber das würde auch nichts helfen. Da oben herrschen Temperaturen, die ohne Cataphract tödlich sind, das weiß er. Dort oben herrscht die Sonne, hier unten herrschte einst der Mensch…
    Als er in den beleuchteten Teil des Tunnels tritt, muß er anfangs eine ihm unverständliche Scheu überwinden. Dieses Licht täuscht etwas vor, was nicht existent ist: einen Übergang vom Reich des Todes in das Regime des Lebens. Es ist wohl die Gewißheit um den trügerischen Charakter dieser Trennlinie, was seinen

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