Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Marigg”, sagte Goff leise, “die Spitzel, die, welche die unpopulären Dinge tun, weil sie an eine große Sache glauben…” Marigg aktivierte unbewußt seine mentalen Aures. Und nur dadurch konnte er hören, daß Goff abermals log. Aber so recht wußte er nicht zu sagen, ob er diese Lüge auch als solche betrachten sollte, denn sie betraf nicht den Fakt, sondern die Wertung dessen, was Goff da gerade preisgab. Für einen Moment zauderte Marigg. Sollte er gegen eins der obersten Gebote seiner Gesellschaft verstoßen? Oder nein – er hatte es ja bereits getan, zwar nicht bewußt oder gar vorsätzlich, aber immerhin hatte er seinen Aures gestattet, in Hermel Goffs Gedanken zu forschen. Sollte er dies aber zugeben? Marigg entschied, wie kein Elloraner, aber auch kein Terraner entschieden hätte.
“Du lügst, Hermel Goff!” sagte er, und immer noch mußte er sich bemühen, seiner Stimme einen harten, abweisenden Klang zu verleihen. “Du lügst! Du bist kein Spitzel – nicht in deinen Augen. Du willst beschönigen, wo es deiner Ansicht nach nichts zu beschönigen gibt, du sagst es nur, um mich zu besänftigen, du verrätst deine Ideale um deiner Ideale willen, du bist ein waschechter Terraner und hast keine Ahnung von dem, was ich davon halte.”
Kann er auch gar nicht, dachte Marigg seltsam erheitert, ich selbst weiß ja noch gar nicht, was ich davon halten soll. Goffs Reaktion verwirrte ihn erneut, abermals konnte er sein mentales Gehör nicht blockieren und wußte also, daß Goff diesmal nicht log.
Hermel Goff drehte sich auf die Seite und brachte seinen Mund ganz dicht an Mariggs Ohr, er legte auch seine rechte Hand auf Mariggs Brust und streichelte ihn mit einer Unbeholfenheit, deren Ehrlichkeit geradezu rührend war.
“Ich weiß sehr gut, daß man euch Elloraner nicht belügen kann”, sagte er traurig. “Aber diesmal irrt dein mentaler Sinn, Marigg Ellis. Oft genug fühlte ich mich gemein und niederträchtig – aber ich weiß, daß es Unsinn ist. Das ist der Konflikt zwischen Denken und Fühlen, wie er jedem Menschen eigen ist. Ich fühle mich wie jemand, der in der Gosse wühlt – aber ich weiß ganz genau, daß ich ein überdurchschnittlich intelligenter Bürger der terranischen Gemeinschaft bin und Dinge begreife, die andere nicht einmal erahnen, so ist das nämlich…”
Marigg spürte deutlich, daß Goff nun den Vorwurf der Arroganz erwartete und innerlich bereits die Kräfte für eine Erwiderung formierte. Er lächelte. Diese Terraner – sie sind manchmal so kindisch, daß sie sich sogar das Recht zur Selbsteinschätzung absprechen. Und obwohl er das anfangs nicht zugeben wollte, wurde dieser Hermel Goff wieder interessant für ihn. Das war es doch, was ihm auf Ellora immer gefehlt hatte: der Zwiespalt, der Widerspruch zwischen Denken und Fühlen, die Waghalsigkeit, mit der sich diese Terraner in Konflikte stürzen, deren Ausmaß sie noch gar nicht absehen können.
Zu Hause, auf Ellora, wird sorgfältig darauf geachtet, daß alles irgendwie in Harmonie mündet. Hier ist das anders. Die wollen zwar auch Harmonie, aber für die ist das nur ein Wort, eine Formel, ein abstrakter Begriff. Und deshalb erschüttert es die Terraner kaum, wenn sich plötzlich Probleme vor ihnen auftürmen – die machen weiter, irgend etwas, Hauptsache, es wird etwas getan, und irgendwas kommt dabei immer heraus.
So wie dieser Goff neben ihm lag, sich sogar zitternd an ihn drängte, nur Wärme brauchend, nichts weniger und nichts mehr – so wuchs in Marigg ein Bild des Terraners, das doch erheblich abwich von dem, was auf Ellora mit gutmütiger Geringschätzung von den “Weltengründern” gedacht und geredet wurde. Mariggs Gedanken gerieten in einen Strudel und verknäulten sich unentwirrbar. Harmonie, Widerspruch, Rastlosigkeit, Macht, Liebe, Glück – die Begriffe wurden ihm plötzlich zu Kräften, deren Wirken sich ihm immer beharrlicher aller Gesetzmäßigkeit entzog.
Der da neben ihm – beim Großen Sirius, wenn er doch Elloraner sein könnte! –, der war ja nicht einfach ein Steinchen im großen Mosaik, der barg in sich auch die Ahnung des fertigen Bildes, der war Stärke und Schwäche, Sieg und Niederlage, Potenz und Impotenz. Der war nicht gut oder böse oder irgend etwas dazwischen, der war gut und böse, böse, des Guten wegen – aber auch gut des Bösen wegen.
Goffs Schnarchen belustigte Marigg. Da lag dieser Held, der von moralischer Optimierung redete, von Segen und Verdammnis der evolutiven
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