Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Rudimente, der beinahe heulte, als er Marigg die These vom kreativen Orgasmus erläuterte, der alles Menschliche verdammte und selbst so schwer loskam von dem, was er hochmütig “menschlich” nannte, der ernstlich die Bereitschaft des Menschen forderte, sich der Göttlichkeit als Ziel allen Strebens zu stellen.
Goffs Schnarchen belustigte Marigg, denn es hatte überhaupt nichts Göttliches. Aber Goffs Worte klangen in ihm nach, und Marigg fand keinen Fehler in der Idee, Lust und Kreativität biologisch miteinander zu koppeln. Den Fehler sah er lediglich in der typisch terranischen Verklemmtheit, mit der über die Bedeutung der Lust gefaselt wurde, in dem Bestreben, Lust durch etwas “Edleres” zu ersetzen. Das allerdings hatten die Terraner auch nötig, die die Lust doch von ihren biologischen Wurzeln gekappt hatten, sie zum Selbstzweck ernannten und plötzlich nicht mehr wußten, was man alles tun darf und was nicht. Sie mußten ja unbedingt am “Dürfen” und am “Normalen” festhalten – mit einer Inkonsequenz, die wahrlich Bewunderung abnötigte.
Essen und Trinken haben die Terraner schließlich auch vom Makel der biologischen Notwendigkeit befreit. Man frißt, um Genuß zu empfinden, man säuft, um einen Zustand zu erleben, der aus dem metronomisch getakteten Alltag das sonst unentdeckt bleibende Besondere herausfiltert
– armselige terranische Mentalität. Man tut dort alles mit einem fest umrissenen Ziel. Da fährt keiner einfach drauflos, um zu erleben, was mit ihm geschieht, um unbefangen zu sehen – da reist man, um sich seine Vorurteile zu bestätigen, und was nicht ins Programm paßt, das wird eben nicht wahrgenommen.
Und trotzdem – als Marigg soweit alle elloranischen Vorurteile abgearbeitet hatte, öffnete sich vor ihm eine Schranke. In all ihrer maßlosen Rechthaberei, in all ihrem Stolz auf die Erde als den Ursprung der galaktischen Zivilisation, hatten sich die Terraner etwas bewahrt, was manchmal so unscheinbar und kaum noch sichtbar am Rande der Postulate dahinvegetierte, daß seine Bedeutung schnell übersehen werden konnte: den Sinn für Widersprüche.
Das hatte Marigg schon viel früher begriffen, aber dieser Goff bestätigte ihm auf ganz unerklärbare Weise diese Erkenntnis.
Auf Ellora gibt es keinen Platz für Widersprüche. Auf Ellora entscheidet nicht einfach die quantitative Mehrheit, sondern die im wahrsten Sinne qualitative Mehrheit. Dort werden Berechtigungs-grade zu- oder aberkannt, je nachdem, wie weit der Betreffende seiner Pflicht nachkommt, sich sachkundig zu machen.
Marigg war immer der Ansicht, nur dieses System gewährleiste echten gesellschaftlichen Progreß, ein System der mehrheitlichen Vernunft. Aber seit er Terraner kennt, hat er sich schon häufig gefragt, ob es nicht möglich ist, daß jeder Mensch unter Vernunft etwas anderes versteht, und ob es nicht vielleicht Ziel des gemeinschaftlichen Strebens sein sollte, jedem Individuum die Realisierung seiner Wünsche zu gewährleisten, statt die Wünsche der Individuen derart zu manipulieren, daß sie ohne größere Probleme erfüllbar sind.
Die Terraner scheinen solche Fragen ernster zu nehmen, als man es auf Ellora tut. Immerhin wollen sie es wagen, nicht nur den Körper des Menschen, sondern auch dessen Geist zu verändern, sie wollen sich selbst neu erschaffen…
Aber was hatten die Mungos mit all den großen Plänen zu tun? Weshalb sollte er helfen, sie ausfindig zu machen und zu überwachen, wie Goff es ihm nahelegte.
Als er Goff am Morgen danach fragte, brummte dieser mißmutig: “Dieses Problem muß so schnell wie möglich aus der Welt, begreifst du das nicht? Mungoismus ist mit einiger Sicherheit genetisch fixiert und die Mutabilität der betroffenen Personen beziehungsweise Genome wahrscheinlich extrem ausgeprägt…” Er legte eine Pause ein, wälzte sich ächzend auf den Rücken, und seine mandelförmigen Augen starrten nachdenklich die Decke an. Dann sagte er seufzend: “Wie können wir mit solch einem Defekt in den menschlichen Erbanlagen den Versuch wagen, den kaum überschaubaren Komplex menschlicher Antriebe, Verhaltensweisen, Motivationen, Instinkte und dergleichen – einschließlich der nervalen und innersekretorischen Regelungsvorgänge – durch einen rigorosen Eingriff in die genetische Struktur umzugestalten, he? Das wäre wahrlich verbrecherisch…” Den letzten Satz sprach er nach unmerklichem Zögern.
Marigg fragte neugierig: “Und was sagen die anderen Terraner dazu, die
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