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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Vaters zu, den sein ungezogener Sohn zur Verzweiflung treibt. »Der hier ist jetzt den Drogen verfallen. Ich versuche ihn zurückzuhalten, aber ...« Er winkte uns fort.
    Wenige Sekunden später fuhren wir weiter. Ich hörte ein Lachen und dann die nuschelige, keinen Ton treffende Stimme des ersten Soldaten, der wieder das alte Hochzeitslied sang.
    Wir fuhren ungefähr eine Viertelstunde, in der niemand ein Wort sprach, bis der Ehemann der jungen Frau plötzlich aufstand und ich Zeuge von etwas wurde, was schon viele andere vor ihm getan hatten: Er küsste Babas Hand.
    Toor hatte Pech gehabt. Hatte ich das nicht bei dieser Unterhaltung in Mahipar aufgeschnappt?
    Wir kamen eine Stunde vor Sonnenaufgang in Jalalabad an. Karim geleitete uns rasch aus dem Lastwagen in ein Haus an der Kreuzung zweier unbefestigter Straßen, die von flachen, einstöckigen Häusern, Akazien und geschlossenen Läden gesäumt wurden. Ich schlug den Kragen meines Mantels gegen die Kälte in die Höhe, als wir, unsere Habseligkeiten mitschleppend, zum Haus hinübereilten. Aus irgendeinem Grund erinnere ich mich an den Geruch von Rettich.
    Als wir alle in dem schwach beleuchteten leeren Wohnzimmer standen, schloss Karim die Haustür von innen ab und zog die zerlumpten Tücher, die als Gardinen dienten, vor die Fenster. Dann atmete er einmal tief durch und eröffnete uns die schlechten Nachrichten: Sein Bruder Toor konnte uns nicht nach Peshawar bringen. Wie es schien, war der Motor seines Lastwagens in der letzten Woche kaputtgegangen, und Toor wartete immer noch auf die Ersatzteile.
    »Letzte Woche?«, rief jemand. »Wenn Sie das gewusst haben, warum haben Sie uns denn dann hierher gebracht?«
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine heftige Bewegung. Dann flitzte etwas Verschwommenes quer durch das Zimmer, und das Nächste, was ich sah, war Karim, der an die Wand gepresst dahing, und seine Füße, die in Sandalen steckten, baumelten ein paar Zentimeter über dem Boden. Und um seinen Hals lagen Babas Hände.
    »Ich weiß, warum«, schnauzte Baba. »Weil er das Geld für seinen Teil der Strecke kassiert hat. Und mehr hat ihn nicht interessiert.« Karim gab kehlige, erstickte Laute von sich. Speichel tropfte ihm aus dem Mundwinkel.
    »Lassen Sie ihn herunter, Aga, Sie bringen ihn ja um«, sagte einer der Passagiere.
    »Genau das habe ich vor«, erklärte Baba. Was niemand der anderen im Raum wusste, war, dass Baba nicht scherzte. Karim lief rot an und begann mit den Beinen zu zucken.
    Baba würgte ihn weiter, bis ihn die junge Mutter, auf die es der russische Soldat abgesehen hatte, anflehte, von ihm abzulassen.
    Als Baba ihn schließlich losließ, fiel Karim zu Boden und wälzte sich nach Luft ringend hin und her. Es wurde still im Zimmer. Vor kaum einmal zwei Stunden hatte Baba sich angeboten, für die Ehre einer Frau, die er nicht einmal kannte, zu sterben. Und jetzt hatte er einen Mann beinahe zu Tode gewürgt, hätte es auch mit Vergnügen getan, wenn ihn dieselbe Frau nicht um Gnade gebeten hätte.
    Nebenan ertönte ein dumpfes Krachen. Nein, nicht nebenan, unter uns. »Was ist das?«, fragte jemand. »Die anderen«, stieß Karim schwer atmend hervor. »Im Keller.«
    »Wie lange warten die denn schon?«, fragte Baba, der sich mit gespreizten Beinen vor Karim aufgebaut hatte, der immer noch am Boden hockte.
    »Zwei Wochen.«
    »Ich dachte, der Wagen sei letzte Woche kaputtgegangen.«
    Karim rieb sich die Kehle. »Könnte auch schon vor zwei Wochen passiert sein«, krächzte er.
    »Wie lange?« »Wie lange was?«
    »Wie lange dauert es, bis die Ersatzteile kommen?«, brüllte Baba, dass man die Wände bersten zu hören glaubte. Karim zuckte zusammen, sagte aber nichts. Ich war dankbar für das dämmerige Licht. Ich wollte den mörderischen Ausdruck auf Babas Gesicht nicht sehen.
    Der Gestank von etwas Feuchtem, wie Schimmel, drang mir in die Nase, als Karim die Tür öffnete, hinter der die knarzenden Stufen zum Keller hinabführten. Wir stiegen sie einer nach dem anderen hinunter. Die Stufen stöhnten unter Babas Gewicht. Als ich in dem kalten Keller stand, kam es mir so vor, als würde ich in dem Dunkel von blinzelnden Augen beobachtet. Ich erblickte überall kauernde Gestalten; ihre Silhouetten wurden vom schwachen Licht einiger Petroleumlampen an die Wände geworfen. Ein leises Murmeln erfüllte den Raum, unterlegt von Wassertropfen, die irgendwo herabfielen, und einem weiteren, kratzenden Geräusch.
    Baba seufzte hinter mir und ließ die

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