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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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beginnen. Und es wäre mir lieber, wenn du es von mir hörst.«
    »Wenn du dich dann besser fühlst, erzähle es mir. Aber es wird nichts ändern.« Es folgte eine lange Pause am anderen Ende, ehe sie begann:
    »Als wir in Virginia wohnten, bin ich mit einem afghanischen Mann weggelaufen. Ich war damals achtzehn ... rebellisch ... dumm, und ... er hatte mit Drogen zu tun ... Wir haben beinahe einen ganzen Monat zusammengelebt. Sämtliche Afghanen in Virginia haben über uns geredet. Padar hat uns schließlich gefunden. Er tauchte an der Wohnungstür auf und ... hat mich gezwungen, mit ihm nach Hause zurückzukehren. Ich war hysterisch. Habe gekreischt. Gebrüllt. Ihm gesagt, dass ich ihn hasse ... Jedenfalls kehrte ich nach Hause zurück und ...« Sie begann zu weinen. »Entschuldige.« Ich hörte, wie sie den Hörer hinlegte. Sich die Nase putzte. »Tut mir Leid«, sagte sie mit heiserer Stimme, als sie wieder am Apparat war. »Als ich nach Hause zurückkam, erfuhr ich, dass meine Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte, die rechte Seite ihres Gesichts war gelähmt und ... ich fühlte mich so schrecklich schuldig. Das hatte sie nicht verdient. Padar ist kurze Zeit später mit uns nach Kalifornien gezogen.«
    Es folgte Stille.
    »Wie stehen du und dein Vater heute zueinander?«, fragte ich.
    »Wir hatten immer schon unsere Meinungsverschiedenheiten, die haben wir auch heute noch, aber ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich damals von dort weggeholt hat. Er hat mich gerettet, das weiß ich inzwischen.« Sie schwieg für einen Augenblick, ehe sie hinzufügte: »Macht dir das, was ich dir erzählt habe, etwas aus?«
    »Ein bisschen schon«, erwiderte ich. Ich war ihr eine ehrliche Antwort schuldig, wie ich fand. Ich konnte sie nicht anlügen und ihr erklären, dass mein Stolz, mein ißikhar, durch die Tatsache, dass sie schon einmal mit einem Mann zusammen gewesen war, während ich noch niemals mit einer Frau geschlafen hatte, nicht getroffen war. Es störte mich schon ein wenig. Aber ich hatte in den Wochen, bevor ich Baba bat, mit dem General zu sprechen, oft und lange darüber nachgedacht. Und am Ende lief es für mich immer nur auf die eine Frage hinaus: Wie sollte ausgerechnet ich jemanden für seine Vergangenheit bestrafen?
    »Ist es so schlimm für dich, dass du deine Meinung nun geändert hast?«
    »Nein, Soraya. Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Nichts von dem, was du gesagt hast, ändert irgendetwas. Ich möchte, dass wir heiraten.«
    Sie brach erneut in Tränen aus.
    Ich beneidete sie. Ihr Geheimnis war heraus. Ausgesprochen. Erledigt. Ich öffnete den Mund und hätte ihr beinahe erzählt, wie ich Hassan im Stich gelassen, wie ich gelogen, ihn fortgetrieben und eine vierzigjährige Beziehung zwischen Baba und Ali zerstört hatte. Aber das tat ich nicht. Ich befürchtete, dass Soraya Taheri in vielerlei Hinsicht ein besserer Mensch war als ich. Auf jeden Fall war sie mutiger.
    13
    Al s wir am nächsten Abend vor dem Haus der Taheris ankamen - zur lafz, der Zeremonie des »Wortgebens« -, musste ich den Ford auf der anderen Straßenseite abstellen. Die Einfahrt war schon mit Wagen zugeparkt. Ich trug einen marineblauen Anzug, den ich mir am Tag zuvor gekauft hatte - gleich nachdem ich Baba vom khastegari abgeholt und wieder nach Hause gebracht hatte. Ich überprüfte im Rückspiegel den Sitz meiner Krawatte.
    »Du siehst khoshteep aus«, sagte Baba. Schmuck.
    »Danke, Baba. Geht es dir gut? Fühlst du dich auch wohl genug?«
    »Wohl genug? Dies ist der glücklichste Tag meines Lebens, Amir«, sagte er und lächelte erschöpft.
    Ich vernahm Geplapper hinter der Tür, Lachen und leise gespielte afghanische Musik - es klang wie ein klassisches ghazal von Ustad Sarahang. Ich läutete. Ein Gesicht spähte durch die Vorhänge des Dielenfensters und verschwand wieder. »Sie sind da!«, hörte ich eine Frauenstimme rufen. Das Geplapper verstummte. Jemand stellte die Musik ab.
    Khanum Taheri öffnete die Tür. »Salaam alaykum«, sagte sie strahlend. Sie hatte eine frische Dauerwelle und trug ein elegantes, knöchellanges, schwarzes Kleid. Als ich in die Diele trat, wurden ihre Augen feucht. »Sie haben kaum das Haus betreten, und schon muss ich weinen, Amir jan«, sagte sie. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Hand, wie Baba es mir am Abend zuvor eingeschärft hatte.
    Sie führte uns durch einen hell erleuchteten Flur ins Wohnzimmer. An den mit Holz vertäfelten Wänden erblickte ich Fotos von Menschen, die meine

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