Drachenland: Roman (German Edition)
Menschen, die dicht gedrängt auf der Lichtung standen, schwiegen ehrerbietig, als Ephrion, gefolgt von der Familie und ausgewählten Mitgliedern des Kreises, die Stufen zum Podium betrat. Evirae hielt den Atem an, als sie Ephrion ins Gesicht blickte. Sein Ausdruck war starr, und er sah sie nicht an, doch schien er sich damit abgefunden zu haben, seine Pflicht als ehemaliger Monarch zu tun.
Lady Tenor, deren Aufgabe es war, den Beginn der Feier zu verkünden, nahm den dafür vorgesehenen Platz auf dem Podium ein. Inzwischen wurde viel getuschelt über die Kleider der verschiedenen Familienmitglieder, und geflüsterte Komplimente schwebten von Eselle über Alora zu Jibron. Evirae dachte, sie würde noch wahnsinnig, wenn es nicht bald losging.
Flüsternd drängte sie Lady Tenor: »Beeil dich! Die Feier muss beginnen!«
Lady Tenor starrte die Prinzessin an. »So etwas überstürzt man nicht«, erwiderte sie hochmütig. »Du tätest gut daran, diesen Augenblick auszukosten, junge Frau. Eine Königin muss Geduld haben können. Es ist ein seltenes Ereignis, wenn der Rubin einer Prinzessin überreicht wird.«
»Wenn du noch länger wartest, findet es überhaupt nicht statt!«, zischte Evirae. General a. D. Jibron und Lady Eselle, bestürzt über das unpassende Benehmen ihrer Tochter, blickten sie tadelnd an. Evirae nickte ihnen zu und lächelte, als sei ihr plötzlich eingefallen, wo und mit wem sie sprach. Sie blickte zum Himmel hinauf. Kiorte, dachte sie, warum bist du nicht hier, um mich zu unterstützen?
Endlich hatten alle Mitglieder der Familie ihre Plätze auf dem Podium eingenommen. Der Gesang des Chors schloss mit einem lautstarken Finale. In die folgende Stille hinein sagte Lady Tenor: »Den Bürgern von Simbala wird bekannt gegeben, dass laut Beschluss der königlichen Familie, getroffen in einer Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Falkenwind wegen landesverräterischer Bestrebungen seines Amtes als König von Simbala enthoben wird.«
Evirae schloss die Augen und ließ die willkommenen Worte in sich einsinken. Endlich!, dachte sie. Offensichtlich wusste Ephrion nicht, dass Falkenwind zurückgekehrt war. Der offizielle Teil der Krönung dauerte ja nicht lange. Und dann bekam sie den Rubin!
Lady Tenor fuhr fort: »In Übereinstimmung mit den Gesetzen Simbalas wird diese Amtsenthebung rechtskräftig mit der Ernennung eines neuen Monarchen.« Sie blickte Ephrion an, und er trat vor, das silberne Kästchen mit dem Rubin in den Händen. Evirae sah Ephrion an, aber seine Augen waren in die Ferne gerichtet, als blicke er in eine andere Zeit. In diesem Augenblick tat er ihr leid. Er hatte gegen sie gekämpft, aber er hatte verloren.
Lady Tenor sagte: »Wenn jemand Grund hat, Prinzessin Evirae – Tochter des General a. D. Jibron und der Lady Eselle -, Bewerberin für das Monarchenamt, also als Königin, abzulehnen oder ihrer Bewerbung zu widersprechen, so muss diese Person jetzt gehört werden.«
Evirae hielt den Atem an. Auf der Lichtung herrschte angespannte Stille. Es war der längste Augenblick, den Evirae je ertragen hatte. Sie war überzeugt, dass Falkenwind sich irgendwie unerkannt unter die Menge gemischt hatte und jetzt sprechen würde. Aber zu ihrem Entzücken erhob sich keine Stimme gegen sie. Lady Tenor wartete weiter auf eine Antwort.
Unfähig, einen weiteren Aufschub zu ertragen, flüsterte Evirae: »Fahre fort!«
Lady Tenor trat ärgerlich zurück, und Evirae wandte sich rasch Ephrion zu. Sie zitterte vor Ungeduld.
Ephrion öffnete das Kästchen und entnahm ihm den Rubin an seiner Kette. Er blickte Evirae nicht an, weil er den Ausdruck des Triumphes nicht sehen wollte. Er versuchte zu sprechen, die Worte zu sagen, die man von ihm erwartete, bevor er ihr die Kette um den Hals legte, aber die Ungerechtigkeit der ganzen Angelegenheit überwältigte ihn, so dass er nicht sprechen konnte. Zwei glitzernde Tränen liefen über seine faltigen Wangen.
Ein Gemurmel stieg aus der Menge empor, als die Zeremonie zum Stillstand kam.
»Ephrion«, sagte Evirae leise und angespannt. »Ihr müsst etwas sagen!«
Endlich flüsterte er: »Nach Übereinkunft der königlichen Familie …«, aber seine Stimme versagte. Er konnte es nicht ertragen, die Amtsenthebung Falkenwinds zu vollziehen.
Evirae durchbohrte ihn jetzt mit den Augen. Er verzögerte die Krönung absichtlich!
»Macht weiter«, flüsterte sie zornig. »Ihr müsst zu Ende sprechen!«
Ihre Augen trafen sich für eine Sekunde, und dann
Weitere Kostenlose Bücher