Drachenland: Roman (German Edition)
blickte Ephrion plötzlich an ihr vorbei auf die Lichtung hinter all den Menschen.
»Macht weiter!«, zischte Evirae, aber inzwischen hatte die Verzögerung die Aufmerksamkeit der Familie erregt.
Ephrion senkte die Hände mit dem Rubin. Ein kreischender Schrei ertönte – und einige dachten schon, Evirae habe ihn in ihrer Ungeduld ausgestoßen. Und wieder schrie es und tönte über die Lichtung hinweg. Die Menge sah sich verwirrt um, aber Ephrion sah den Funken des Erkennens in Eviraes Augen.
»Ja«, flüsterte er so leise, dass nur Evirae es hören konnte. »Der Falke.«
»Nein!«, schrie Evirae mit schreckensstarrem Gesicht auf. Über der Menge zog am klaren blauen Himmel der Falke seine Kreise. Ephrion lächelte.
»Falkenwind!«, rief er stolz. »Falkenwind ist zurückgekehrt!«
Die Familie blickte misstrauisch auf die Lichtung, während sich die Zuschauer alle ohne Ausnahme dem Rascheln im Wald hinter ihnen zuwandten.
»Nein!«, schrie Evirae. »Fallt nicht auf diesen Trick rein! Er will nur meine Krönung verzögern!« Ihr Vater trat rasch an ihre Seite, um sie zu unterstützen. »Macht weiter mit der Zeremonie, König Ephrion«, sagte er warnend. »Ihr habt Euch unserer Entscheidung lange genug widersetzt.«
Ephrion rührte sich nicht von der Stelle. Während er wartete, brachen aus dem Unterholz acht Reiter hervor. Der erste von ihnen trug eine schwarzsilberne Fahne.
»Seht ihr!«, rief Ephrion. »Jetzt kommt er!«
Aufgeregte Rufe ertönten, als hinter den acht Reitern ein schwarzer Hengst über die Lichtung galoppierte. Im Sattel, in einem schwarzsilbernen Umhang, saß Falkenwind.
»Er ist zurückgekehrt!«, rief Ephrion wieder, und dann lächelte er über das ganze Gesicht, als die rot gekleidete Gestalt Lady Cerias auf Lady Tenors Pferd hinter Falkenwind auftauchte.
Evirae stieß einen Wutschrei aus und riss in ohnmächtigem Zorn Ephrion den Rubin aus den Händen. Doch noch während sie versuchte, sich die Kette um den Hals zu hängen, stieß der Falke in einem Wirbel von Flügelschlägen direkt auf sie nieder. Evirae stolperte nach hinten, ihrem Vater in die Arme, schrie laut auf vor Furcht und hielt instinktiv dem Falken den Rubin entgegen. Die Kette wurde ihr aus den Händen gerissen, der Falke hatte sie mit seinen Krallen gepackt und stieg wieder auf in die Lüfte. Wimmernd sah Evirae den in der Sonne glitzernden Edelstein aus ihrer Reichweite entschwinden. Dann richtete sie sich auf, trat vor und rief ihren persönlichen Wachen zu: »Fasst sie! Fasst den Bergmann und die Rayanerin, diese Landesverräter!«
Die acht Reiter hatten inzwischen für Falkenwind und Ceria einen Weg durch die Menge gebahnt. Die Wachen gingen auf sie zu, doch Ephrion befahl ihnen, stehen zu bleiben. Ob die Autorität in der Stimme des früheren Monarchen oder aber Eviraes unangebrachtes Verhalten sie zögern ließ, war nicht zu erkennen, aber sie blieben stehen.
Das alles kann nicht wahr sein, dachte Evirae, ich muss träumen. Die Anspannung war einfach zu viel für mich. Sie schloss die Augen, doch als sie sie wieder öffnete, sah sie, dass Falkenwind und Ceria immer noch auf sie zukamen. In ohnmächtiger Wut beobachtete Evirae, wie Falkenwind absaß und sich dem Podium näherte.
Evirae blickte wild um sich. Es musste eine Möglichkeit geben, Falkenwind eine Falle zu stellen, ihn aufzuhalten. Sie blickte auf zum Himmel in der Hoffnung, Kiortes Windschiff zu sehen, aber der Himmel war leer – bis auf den Falken, der über ihnen kreiste. Und vor ihr jubelten immer mehr Menschen Falkenwind zu!
Falkenwind nahm von der Rayanerin einen schwarzen Beutel entgegen und trat näher an das Podium heran. Er hob herausfordernd den Arm, und der Falke kreiste nach unten und landete sanft, mit dem Rubin an der Kette in seinem Schnabel.
Evirae schrie verzweifelt: »Falkenwind ist ein Verräter! Er hat mitten im Kampf die Armee verlassen! Jetzt will er uns wieder betrügen!«
Ihre Worte fanden kein Echo bei der Menge, und sie sah sich hilfesuchend nach der Familie um. Wie betäubt von der unerwarteten Wendung der Ereignisse, war niemand bereit, ihr zu helfen. Nur ihre Eltern standen schweigend neben ihr. Was hatte Falkenwind in dem schwarzen Beutel? Was hatte die Rayanerin herausgefunden während ihrer Abwesenheit? Da sie dies alles nicht wusste, rief die Prinzessin wieder: »Falkenwind will uns mit Hilfe der Rayanerin betrügen!«
Falkenwind sah sie an, sein Gesichtsausdruck unerschütterlich, nicht zu deuten. Er war jetzt
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